Durchs wilde Kurdistan und zurück
12 Gramm Glück von Feridun Zaimoglu
Sich einem Buch zu nähern ist einer Stadtfahrt nicht ungleich. Man/frau fährt von der Peripherie ins Zentrum. Auf jeder Reise sind Orientierungspunkte wichtig. Vom Megamöbelhaus mit dem Endlosparkplatz bis zum Kebab-Stand an der Ecke mit den bunten Fähnchen, die uns den Weg zur Auffahrt auf die Autobahn zeigen. Wir brauchen unsere Markierungen, um uns zurecht zu finden. Genauso in einem Buch: Nur übernehmen der Klappentext oder das Inhaltsverzeichnis die Rolle des Möbelhauses oder der Autobahnauffahrt.
„12 Gramm Glück“, so der Titel von Feridun Zaimoglus neuestem Buch kann mit jeden Mengen Konnotaten versehen werden. Auf dem Hintergrund von Zaimoglus Kleinkriminellengeschichten à la „Kanak Attack“, dachte ich sofort an harten Stoff und interpretierte die ausgebreitete Decke auf dem Cover als semiotisches Wortspiel. 12 Gramm (temporäres) Glück auf chemischer Basis mit vielen kleinen Geschichten drum herum. Auch das Inhaltsverzeichnis schien in diese Richtung zu deuten. Vom „Diesseits“ ins „Jenseits“ – ein verheißungsvoller Trip in die ewigen Glücksjagdgründe deutete sich an. Doch bereits die erste Geschichte eines Schriftstellers, der seinen Selbstmord plante und den nur die unverhoffte Liebe davon abhielt, enttäuschte meine diesbezüglichen Erwartungshaltungen und schürte die Lust am Weiterlesen.
Die Titel zu Zaimoglus kurzen Geschichten sind die Wegweiser auf einem skizzierten Plan für die Reise in zwei verschiedene Welten. Das „Diesseits“ und das „Jenseits“ sind aus der Sicht des Autors nichts anderes als die urbane Realität einer deutschen Großstadt respektive eine archaische, mythische Welt eines erdachten vorderen Orients. Um also weiter geografisch zu sprechen – keine Reise vom Zentrum in die Peripherie, sondern vom diesseitigen Westen in den jenseitigen Osten. Die Grenze ist dabei weniger geografisch verortet. Der „Clash of the cultures“ und die damit verbundene politische Lesart der mehr oder weniger komplexen Liebesgeschichten ist durchaus beabsichtigt.
Das älteste Thema der Welt
Der rote Faden durch dieser Geschichtenwelt wurde aus dem ältesten Thema der Literatur fein gesponnen: Mann trifft Frau – oder Frau trifft Mann und beide „reden“ wie fast nicht anders zu erwarten (wie so oft) aneinander vorbei. So als wollten sie die Redewendung „Jeder ist seines Glückes Schmied“ bisweilen konsequent ignorieren. Besonders angesprochen haben mich die diesseitigen Großstadtneurotiker bei denen ein Rest von Woody Allen durchzuleuchten scheint. Reste von Machismo, wie zum Beispiel ein High-Heel als Handyhalterung oder die „Zickenpuschen“ als letzte Symbole einer männlichen Welt. Das Paradigma der diesseitigen Geschlechterbeziehungen: Unsicherheit und Unterkühlung. Behutsam werden wir auf das Jenseits hingeführt, wenn Zaimoglu uns bewusst die Welt von Muslime irgendwo in einer deutschen Großstadt präsentiert. Der Übergang geschieht lautlos. Das Mystische und Archaische, der Kampf zwischen alten religiösen Werten und Verwestlichung, das brodelnde Leben brechen langsam herein und kündigen sich bereits im „Diesseits“ an. So wie in der archaisch, mythischen Welt die Errungenschaften des Diesseits, sprich dessen war wir gemein den Westen nennen, vorhanden sind. Zaimoglu zeigt uns auch hier die Hotels und Absteigen, die Türsteher uvm.
Einen Vorgeschmack auf „12 Gramm Glück“ gab Feridoun Zaimoglu, auf Einladung von Ursula März, ja bereits 2003 beim Bachmannpreis-Wettlesen. Der Probelauf wurde bereits 2003 zur Siegesfahrt. Zaimoglu erreichte den zweiten Platz mit der Geschichte „Häute“. Die Wiener Literaturkritikerin Daniela Strigl fühlte sich angesichts der archaischen Welt „sehr irritiert“. Und genau diese Irritation ist nicht nur für „Häute“ beabsichtigt. Sie wird durch das Gegenüberstellen zweier Welten noch viel größer. Es erscheint mir daher sinnvoll der vom Autor vorgegeben Route zu folgen und eine Geschichte nach der anderen zu lesen. Ein Kreuz und Quer führt zu einem noch stärkeren Clash als es ohnehin schon der Fall ist, zumal im „Jenseits“ das für uns meist Unbekannte liegt.
Die Sprache
In „12 Gramm Glück“ ist nichts mehr übrig von Zaimoglus fulminanter „Kanak Sprach“, die ihn berühmt-berüchtigt machte. Nur hier und da blitzt der sprachliche Witz auf. Die Zickenpuschen und ähnliches erinnern an den früheren Zaimoglu. Aber bei genauerem Hinsehen stammen solche Begriffe wahrscheinlich aus dem Sprachfundus der MTV-Generation – und sind somit fast schon der Standardsprache zuzuordnen.
Zaimoglu – ja man/frau könnte es so sehen – wird erwachsen als Schriftsteller. Die Geschichten, die er zu erzählen hat, steht im Vordergrund – ja das Geschichtenerzählen wird sogar thematisiert. Die „Kanak Sprach“ wäre in der Entwicklung seiner oftmals neurotischen Held/innen eher hinderlich. Die Virtuosität lieht nicht auf der Wortebene, sondern in Rhythmus und Stil. Zaimoglu versucht die Sprache an seine Helden und Themen anzupassen. Mit der mythischen Dichte, die das vom Autor gezeichnete „Jenseits“ beispielsweise erfordert.
Der Verdienst Zaimoglus ist es sicherlich zwei Welten aufeinander prallen zu lassen, die er in sich trägt. Er kennt beide Welten genau und vermeidet auch sprachlich den Eindruck von Karl-May-Romantik. Kurzum: Wildes Kurdistan und Glückssuche hier wie dort...im besten Sinne.
[*] Diese Rezension schrieb: Thierry Elsen (2004-08-17)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.