„Enchantements sur Paris“ wollte der Verleger Yonnets Werk von 1954 nennen. Es hatte bei den Schriftstellern jener Zeit schon Aufsehen erregt: Jacques Prévert und Raymond Queneau gehörten zu seinen Bewunderern. 1957 erschien eine Ausgabe mit Zeichnungen des Autors und Fotos von Robert Doisneau. 1966 fügte der Autor sogar noch ein XVII. Kapitel hinzu. Die vollständige Fassung von 1987 mit dem von Jacques Yonnet ursprünglich gewünschten Titel „Rue Des Maléfices“ wurde von Matthes & Seitz nun in einer neu übersetzten und gebundenen Ausgabe wiederaufgelegt. Die „Chronique secrète d’une ville“, die episodenhaft über das Politische und Persönliche während der deutschen Besatzung Frankreichs erzählt, wird von der Verfasserin des Nachworts, Karin Uttendörfer auch als „soziologische Studie über eine Stadtbevölkerung“ bezeichnet, die es nicht mehr gibt. Der Roman ist auch eine „Aufzeichnung mysteriöser Ereignisse und Erfahrungen, übernatürlicher Kräfte und Wesen“, wie sie selbst schreibt.
Pariser Straßenjargon und Lautmalerei
Oulipotische Sprachspiele (L' Ouvroir de Littérature Potentielle (franz. „Werkstatt für Potentielle Literatur“) sowie „quasi akrobatische Glanzleistungen“, „atemberaubende Komposition, in der Realität und Phantastisches, Vergangenes und Zeitgenössisches, Inhaltliches und Sprachliches kunstvoll montiert werden“ erwartet das geschätzte Lesepublikum dieses außergewöhnlichen Romans, schreibt die Übersetzerin selbst im Nachwort, die versuchte „so getreu und genau wie möglich Yonnets Stimme zu lauschen und so beherzt wie nötig seinen Blicken un Schritten zu folgen, dabei auch sein Innehalten und Stolpern und seine wagemütigen Sprünge mitzuvollziehen“.
Chronik des Paris der 40er-Jahre
Yonnet selbst hatte eine illusionslose Sicht auf seine französischen Mitbürger, auf die Kollaborateure und de Gaulle genauso wie auf die Résistance. Dennoch war er als Funker mit England in Verbindung und koordinierte so Angriffe auf deutsche Ziele in Frankreich, wofür er vom Oberst auch das „croixe de guerre“ erhielt (er hatte einen Gestapospitzel ermordet). Und über all das lege er nun in „Rue Des Maléfices. Strasse der Verwünschungen“ Zeugnis ab. Der Leser erlebt aber auch das Paris Balzacs, das es noch bis in die Sechziger des 20. Jahrhunderts gab, vor allem im Quartier Latin, das seit jeher das Paris der Clochards, Gauner, Huren, Lumpensammler, Zigeunerkönigen und Bettlerfürsten sowie des Dichters Francois Villon war. Die Leserinnen und Leser erfahren aber auch etwas über das spezielle Pariser Argot sowie über Tanz-Weiter, das Alter Ego des Erzählers, und Poloche, den letzten Pariser Flusskrebsfischer.
Jacques Yonnet
Rue des Maléfices, Straße der Verwünschungen
Originaltitel: Rue des Maléfices. Chronique secrète d’une ville (1954)
445 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag
Übersetzung: Aus dem Französischen und mit einem Nachwort von Karin Uttendörfer, mit Zeichnungen von Jacques Yonnet
Erschienen: 2012
ISBN: 978-3-88221-555-7
Preis: 34,90 €
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2017-07-11)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.