„Wissen Sie wohl, dass ich es jetzt liebe, mich an diejenigen Plätze zu erinnern, wo ich früher einmal in meiner Art glücklich gewesen bin, und sie zu bestimmter Zeit zu besuchen, es liebe, meine Gegenwart mit der unwiederbringlichen Vergangenheit auf denselben Ton zu stimmen und oftmals wie ein Schatten ohne Zweck und Ziel melancholisch und traurig durch die Straßen Petersburgs irre?“, sagt der Protagonist der Dostojewski-Novelle „Weiße Nächte“ und welche Periode würde sich nicht besser für einen Besuch eignen, als wenn die Petersburger die Nächte zu Tagen macht und die ganze Stadt auf den Beinen ist?
Die Stadt der Schriftsteller und Flaneure
Das Naturspektakel, das jedes Jahr Ende Juni stattfindet, wird neuerdings auch von der Petersburger Stadtverwaltung gefeiert. Konzerte vor dem Winterpalais, der Eremitage, ein Segelschiff mit roten Segeln, das auf der Newa in die Stadt hineinfährt, Feuerwerke und ein Licht, wie es wohl kaum eine andere Stadt zu bieten hat. St. Petersburg, das Anfang des 18. Jahrhunderts erbaut wurde verfügt wohl über mehr Paläste als Wien Häuser hat, die Altstadt ist die größte Europas, ja, der Welt, und wer die Zarenstadt einmal besucht macht, wird mit einem Seufzer zustimmen müssen, wenn Joseph Brodskij schreibt: „St. Petersburg. Die schönste Stadt auf dem Antlitz der Erde“. Brodskij, der in einer Komunalka in St. Petersburg aufwuchs, zeigte sich auch in seinem amerikanischen Exil noch von seiner Heimatstadt angetan. Sie hat es ihm vergolten, indem sie eine Tafel an seinem Wohnhaus in „maurischen Stil“ anbrachte, die heute wieder an den Schriftsteller erinnert. Der Nobelpreisträger hatte in „Erinnerungen an Leningrad“ der Stadt und der russischen Seele ein Denkmal gesetzt. Die Gedenktafel befindet sich an der Ecke Litejnnyj-Prospekt/Pestel-Straße: „Von diesem Balkon aus konnten wir die ganze Länge der Straße überblicken, deren typisch petersburgische, einwandfreie Perspektive, die mit der Silhouette der Kuppel der Pantelejmonskirche abschloss, oder – schaute man nach rechts, mit dem großen Platz, in dessen Mitte die Verklärungskathedrale des Preobraschenkij-Regiments Seiner Kaiserlichen Majestät steht.“ In unmittelbarer Nachbarschaft Brodskijs befanden sich auch die Wohnungen anderer bedeutender russischer Schriftsteller wie Dmitrij Mereschkowkij, Alexander Blok, Anna Achmatowa, Iwan Gontscharow u.a. Letzterer hatte mit seinem „Oblomow“ schon beinahe ein Jahrhundert vorher dem Nichtstun und Flanieren ein Denkmal gesetzt.
Die Stadt des Theaters und der Kultur
Bekannt und berühmt geworden ist Petersburg, oder „Piter“ - wie es liebevoll von seinen Bewohnern genannt wird – aber nicht nur durch seine Paläste und literarischen Zirkel, sondern auch durch seine Kultur, im Besonderen der Kultur des Balletts. Das sogenannte „Kirov-Ballett“ dürfte jedem aufgeklärten Westeuropäer ein Begriff sein, ohne wirklich zu wissen, was damit eigentlich gemeint ist. Tatsächlich war Sergej Kirow nämlich erster Sekretär der Leningrader Kommunisten und regierte somit die Stadt von 1926 bis 1934. Der besonders dienstbeflissene Erste Sekretär soll durch sein „Pflichtbewusstsein“ sogar Stalin selbst übertroffen haben, was dann auch zu seiner Ermordung geführt haben könnte, denn ein bis heute nicht geklärtes Attentat setzte seinem Dienst an der Partei und am Vaterland ein jähes Ende. Stalin soll an seinem Sarg eine Träne gedrückt haben und unmittelbar danach den Großen Terror eingeleitet haben. Das Kirov-Ballett bezieht sich aber natürlich nicht auf die Politik, sondern auf des ehemalige kaiserliche Ballett des Mariinskij-Theaters, das 1935 und 1991 um-/rückbenannt wurde. Bei Tourneen in Ausland wurde jedoch weiterhin die Bezeichnung Kirow-Ballett verwendet, wohl auch um damit auch den Qualitätsstandard zu gewährleisten. Während des Kalten Krieges hatte das Mariinskij-Theater allerdings das Problem, dass immer wieder Tänzerinnen und Tänzer von den Tourneen durch das westliche Ausland nicht mehr zurückkehrten. Die Prominentesten darunter waren sicherlich Rudolf Nurejew, Natalia Makarowa und Mikhail Baryshnikov. In Bezug auf technische Perfektion, stilistischen Purismus und Ballett im Geist der Tradition steht das Mariinkskij-Theater aber auch heute wieder, nach zwanzig Jahren des Endes des Kalten Krieges, wieder ganz oben auf der Liste der Balletttheater der Welt. Nurejew, der übrigens nach seiner Flucht die österreichische Staatsbürgerschaft besaß, wurde vom französischen Kulturminister Jack Lang auch zum Chevalier de l'Ordre des Arts et des Lettres gekürt. Er war Anfang der 80er auch einer der ersten Prominenten, die an AIDS erkrankt war, und ihre Arbeit trotzdem fortsetzten, bis er schließlich einen Schwächeanfall auf der Bühne im Alter von erst 54 Jahren erlag. Wer die Stars des heutigen Mariinskij-Theaters sehen möchte, der muss sich über die auch Englisch geführte Homepage rechtzeitig Karten sichern: www.mariinsky.ru/en Die Preise variieren zwischen 2000 und 8000 Rubel, also 50 und 200 Euro. Die Erfolgsgeschichte des Theaters wird übrigens mit einer zweiten Bühne fortgesetzt, dessen Ausschreibung der französische Star-Architekt Dominque Perault (Pariser Nationalbibliothek) gewann. Ob das „Mariinskij 2“ wirklich 2012 fertiggestellt wird, war zu Redaktionsschluss noch nicht bekannt.
Die Stadt der Zaren, Aristokraten, Architekten und Künstler
Marcus X. Schmid führt in dem Michael Müller Verlag Reiseführer „St. Petersburg“ auf sieben Spaziergängen durch die Stadt an der Newa. Praktische Infos und Informations-Kasten ergänzen die Informationen zu Geschichte und Kultur Piters. Viele Farbfotos und Stadtpläne des jeweiligen Viertels geben Auskunft über die Dinge, die es in der unmittelbaren Nachbarschaft zu sehen gibt. Auch über „Essen und Trinken“ und Unterkünfte natürlich. Wer einen Hauch des alten zaristischen Russlands verspüren möchte, dem sei übrigens das Hotel Taleon empfohlen: http://taleonimperialhotel.com In einem Palast aus dem 18. Jahrhundert, also fast noch zu Peters Zeiten, errichtete der französische Architekt Jean-Baptiste Michel Vallin de la Mothe dieses Gebäude im historischen Zentrum Petersburgs an der Kreuzung von Nevsky prospect und dem Moika Ufer. Das Gebäude, das auch als „Chicherin-Haus“ bekannt ist, weil es für den Polizeichef N.I. Chicherin, gebaut wurde, wurde auch von vielen Künstlern, etwa dem Schriftsteller A.S. Pushkin, gerne besucht. Seither hat es natürlich mehrere verschiedene architektonische Elemente vereint, vom „Puff-Barock“ zum Rokoko, vom French Empire und auch der Renaissance hin zu Eklektizismus und Moderne. Zwischen 1919 und 1922 befand sich auch das Haus der Kunst in einem Teil des Taloan-Komplexes, in dem u.a. A.A. Achmatova, Y.I. Annenkov, M.B. Dobuzhinskiy, E.I. Zamatin, R.C. Petrov-Vodkin. A.M. Gorkiy verkehrten. Alexander Green, Olga Forsh, Osip Mandelshtam, Vladislav Hodasevich und Michael Zoshenko lebten sogar dort. 1924 wurde das „Light Ribbon“ Cinema (“Barricade” ab 1931) im Taloan eröffnet. D.D. Shostakovich arbeitete zum Beispiel darin. Heute ist das Taleon Imperial Hotel (15, Nevsky Prospect (1768-1771), 59, Moika Ufer (1794), und 14, Bolshaya Morskaya Straße (1814-1817).) einer der herrlichsten Hotel-Komplexe im Zentrum Petersburgs, das vom Dach aus auch durch Panorama-Aussichten auf die ganze Stadt glänzt.
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2012-06-27)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.