Schon viele Jahre gab es in der deutschen Literaturkritik und im Feuilleton keine so heftige und leidenschaftliche Debatte mehr wie über den Roman „Stella“ des Spiegel-Journalisten Takis Würger. Seine fiktive Geschichte eines Schweizer Bürgersöhnchens, der nach Berlin geht, um herauszufinden, was es mit den Judenverfolgungen des Nazis auf sich hat und dort auf Stella Goldschlag trifft, sich in sie verliebt und dann auch Kenntnis erlangt darüber, dass sie als „Greiferin“ andere jüdische Menschen in großer Zahl an die Gestapo verrät, hat sofort eine Menge Kritiker auf den Plan gerufen.
Die sehr grundsätzlich und moralisch gestellte Frage geisterte lange durch die Feuilletons, ob man ein solches Thema auf diese Weise darstellen darf und kann. Während die Kulturredaktion des NDR das Buch zum „Buch des Monats“ gewählt hat, lehnen es andere zum Teil mit Empörung ab, so als hätte Takis Würger hier ein größtmögliches Sakrileg begangen. Es geht dabei um den Vorwurf der Effekthascherei, des Kitsches, die Tatsache, dass Würger beim Spiegel arbeitet, weckt bei vielen Assoziationen zum Fall Relotius. Letztlich geht es um die Frage: darf man in Deutschland über die Nazizeit und oder eine jüdische Hauptfigur auf eine so kurzweilige und unterhaltsame Weise schreiben? Darf ein Buch über ein solches Thema von einem Nichtjuden geschrieben werden und darf es unterhaltsam sein?
Hannah Lühmann schrieb in der WELT: "Warum sollte es denn verwerflich sein, einen kurzweiligen Roman auch über eine entsetzliche Zeit zu schreiben?"
Ich selbst ergänzte in einer Rezension dieses Buches:
„Das habe ich mich beim Lesen und Schreiben auch gefragt. Dass man an der nun wirklich naiven männlichen Hauptperson einiges kritisieren kann, okay. Aber einem Autor quasi zu untersagen, eine solche Geschichte zu erfinden, grenzt an hypermoralische Zensur.“
Der Steidl Verlag in Göttingen, der eine Biographie über Stella Goldschlag von Peter Wyden, die Takis Würger mit Sicherheit für seine Recherchen zu seinem Buch benutzt hat, schon 1993 veröffentlichte, hat nun „aus aktuellem Anlass“ wie er in einer Pressemitteilung schrieb, diese Biographie neu aufgelegt.
In dieser Neuauflage, die ich sehr begrüße, weil sie ein lange nicht mehr lieferbares Buch für alle an dieser literaturkritischen Auseinandersetzung interessierte Zeitgenossen wieder zugänglich macht, verzichtet der Verlag auf jeglichen Bezug auf Takis Würgers Buch und die Debatte, die es ausgelöst hat. Jeder soll sich mit der Lektüre dieser Biographie sein eigenes Bild machen.
Mir jedenfalls ist die Person Stella Goldschlag und ihre Geschichte durch dieses Buch auf eine viel intensivere Weise nahe gekommen als in Takis Würgers Roman.
Peter Wyden, Stella Goldschlag. Eine wahre Geschichte, Steidl Verlag 2019, ISBN 978-3-95829-608-4
[*] Diese Rezension schrieb: Winfried Stanzick (2019-03-06)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.