„Zärtlichkeit, Schreie, Umarmungen, Tränen, Trümmer, Lieder, Ängste, Liebe…Ich bin Dichter, aber gezwungenermaßen. Ich wäre gern ein Gedicht, verstehen Sie?“ Sarah Adamopoulos, eine der wenigen Autorinnen und Autoren in vorliegender Auswahl, die nicht in Lissabon geboren wurde, schreibt in „Fado Menor“, was sich wohl jeder Dichter gerne wünschen würde und was nur wenigen geling: Selbst zur Legende zu werden und das am besten noch vor dem Tod. Einer Stadt wie Lissabon gelingt, das viel leichter und sie wird in unzähligen Gedichten und Gesängen, Geschichten und Fados, besungen, weswegen ihr auch dieser sympathische Reisebegleiter aus dem Wagenbach Verlag gewidmet wurde. „Fado da Saudade“, der Fado der Wehmut, heißt ein Gedicht von Jose Galhardo und Amalia Rodrigues und sie erzählen die Geschichte eines bitteren Schmerzes, des Schmerzes der Sehnsucht nach einem vergangenen Leben, einer verflossenen Liebe. „Ich singe den Fado für mich/Gesungen habe ich schon für uns zwei/Aber das ist vorbei/ Nun da es so ist, so sei es/Nun hast du mich schon vergessen/Nun hat jeder seinen eigenen Fado/ (…) Es ist der Fado der Saudade“.
Die „literarische Einladung“ wird von Fernando Pessoa, dem wohl berühmtesten portugiesischen Schriftsteller, mit „Im leichten Nebel des Vorfrühlingsmorgens“ aus dem „Buch der Unruhe“ eröffnet und mit „Lissabon mit seinen Häusern“ aus „Alvaro de Campos. Poesia-Poesie“ geschlossen. Selbstverständlich befinden sich zu allen in der Sammlung zitierten Schriftstellern und Lyrikern einige editorische und biographische Angaben im Anhang. Neben den vielen portugiesischen Schriftstellern werden aber auch die „Wahl“-Portugiesen Antonio Tabucchi und der deutsche Schriftsteller Erich Maria Remarque in einem Beitrag vorgestellt. In Tabucchis „Geschichtenverkäufer“ heißt es, die Postmoderne sei ein Resümee verschiedener unterschiedlicher formen und der Geschichtenverkäufer bezieht dies auf ein Lokal, das „mit der Tradition gebrochen hat, indem es die Tradition weiterführt“. Er entwickelt einen amüsanten Dialog zwischen den zwei Gästen, beide wohl Schriftsteller. „Egozentrisch? Natürlich hat mein Ego ein ganz besonderes Zentrum“, beschwichtigen sich die beiden Gesprächspartner gegenseitig und auch darüber, dass die Literatur nicht das Gewissen beruhigen, sondern beunruhigen solle, sind sie sich scheinbar einig. Dafür geraten sie sich über das Menü in die Haare, denn die Aale aus der Gafeira-Lagune kann es gar nicht geben, wenn es keine Gafeira-Lagune gibt. „Das ist ein erfundener, ein literarische Ort. Wenn Sie wüssten, wie egal mir das ist, Portugal ist voller Lagunen, eine Gafeira-Lagune lässt sich immer finden.“
Eine Vielzahl dieser literarischen Orte erwartet den Leser in dieser äußerst bekömmlichen Auswahl von Texten über Lissabon aus vornehmlich portugiesischer Provenienz. Dabei lernt man sowohl Historisches (Natia Correias „27. April 1974“) als auch Lyrisches über die Stadt und ihre Bewohner. Etwa wenn Maria Isabel Barreno in „Lissabon durch die Jahrhunderte“ die Geschichte der Lissabonner Hausmädchen erzählt. „Der Fado korrumpierte die Realität, indem er den schmerzlich durchlittenen Alltag abstrakt und banal machte.(…) Für uns, die wir in Lissabon aufgewachsen sind und gesehen haben wie die Stadt anschwoll und sich veränderte, gab es einen Augenblick, in dem die Maschen ihres Netzes weit wurden und der Stoff zu reißen schien. In diesem Moment verloren wir die Hoffnung.“ Es in dieser Stadt eilig zu haben, gelte aber immer noch als Sünde. „Eile, wozu?, so ein Unsinn, man wird eh nie mit der Arbeit fertig, es lohnt sich also nicht, sich bei der Arbeit zu sputen.“ Vielleicht wäre es noch schön gewesen, ein paar der lyrischen Texte zweisprachig abzudrucken, damit sich auch sprachlich das richtige Flair einstellen kann, ansonsten aber natürlich wieder eine gelungene literarische Einladung, diesmal nach Lissabon, die Appetit auf noch mehr macht.
Weitere Geschichten stammen und handeln von: José Saramago schildert die Belagerung Lissabons durch die Mauren und Touristen, Manuela Gonzaga führt ein in die Geheimnisse der Lissabonner Gärten und Freimaurer, António Lobo Antunes stellt die natürliche Ordnung der Dinge wieder her, Germano Almeida lässt die afrikanischen Einwanderer von den Kapverden sprechen, Lídia Jorge beschreibt die Stadt als Paradies ohne Grenzen. Rund zwei Dutzend (vorwiegend) portugiesische Autoren stellen in kurzen Texten die westlichste Hauptstadt Europas vor – die Hälfte davon ist zum ersten Mal ins Deutsche übersetzt worden.
Lissabon
Eine literarische Einladung
Herausgegeben und aus dem Portugiesischen übersetzt von Gaby Wurster