Der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder hat dieser Tage in einem Interview dafür plädiert, in der Ukraine zur Stabilisierung der Lage ein föderalistisches System einzuführen:
„Ich glaube, dass das Abkommen von Minsk die große Chance ist, den Konflikt friedlich zu regeln. Dazu sind aber auch weitreichende Reformen in der Ukraine erforderlich – im Sinne eines Föderalismus wie in der Schweiz oder in Deutschland. Das bedeutet dann zum Beispiel auch, dass die Polizei regional organisiert ist.“
Fast zeitgleich bringt der neue israelische Präsident Reuven Rivlin in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung eine Föderation mit den Palästinensern ins Gespräch über die festgefahrene Debatte über eine Zweistaatenlösung.
Überall, wo im Augenblick in der Welt Konflikte schwelen oder offen ausgebrochen sind, sei es in Libyen, in Syrien und vielen Ländern Afrikas und Asiens zeigt sich Folgendes: Staaten zerbrechen, Bürgerkriege breiten sich aus. Terroristen wie Staatschefs stoßen in die Lücken vor, die sich durch scheiternde Staaten auftun, und nutzen sie. Viele Staaten sind gescheitert oder werden noch scheitern. Jede neue Krise löst hektische Aktivitäten aus, einen Tourismus der Friedens¬politik auf allerhöchstem Niveau, der zu keiner Lösung führt. Warum ist das so?
Michael Wolffsohn zeigt in seinem lesenswerten Buch, dass es damit zusammenhängt, dass sich das Völkerecht immer am Nationalstaatsgedanken orientiert hat. Doch die Grenzen vieler Staaten gerade von denen, um es aktuell immer geht, sind Ergebnis reiner Willkür. Oft mit dem Lineal gezogen nach Weltkriegen und Entkolonialisierung, ohne Rücksicht auf Stammesgrenzen, Religionen und Kulturen.
Wolffsohn zeigt das an Beispielen unzähliger Länder und Regionen dieser Welt und macht einen großen Wurf, der noch unsere politische Vorstellungskraft zu sprengen scheint: Er will weg vom traditionellen Staatenmodel und hin zu föderativen Systemen.
Die vielen gedanklichen Abers, die sich mir beim Lesen immer wieder stellten, zeigten mir nur eines auf: wie stark mein politisches Bewusstsein mit dem Gedanken und der Idee eines souverän handelnden Nationalstaates verknüpft ist. Wie kann bei Wolffsohns Idee verhindert werden, dass es zu einer rückwärtsgewandten Kleinstaaterei kommt, in dem keine wirklichen obrigkeitlichen Aufgaben mehr zentral durchgeführt werden können?
Darüber hat das Buch die Debatte eröffnet. Ich wünsche ihm eine breite Diskussion.
Michael Wolffsohn, Zum Weltfrieden. Ein politischer Entwurf, DTV 2015, ISBN 978-3-423-26075-6
[*] Diese Rezension schrieb: Winfried Stanzick (2015-05-23)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.