Ein Meister des Wortes ist Tobias Wolff sicherlich, dass hat er ein um das andere Mal gezeigt und das vor allem da, wo es um das wahre Leben geht. Nicht umsonst ist sein Roman This boys life so eindrucksvoll geraten, sein wahres Leben ist es, dass er dort niederliegt.
Zudem, auch wenn sein bekanntestes Buch ein autobiographischer Roman ist, ein ebensolcher Meister ist er im Blick auf kerngenau zutreffende und den Leser innerlich mitnehmende Kurzgeschichten. Immer eher nüchtern, trocken erzählt, wie nebenbei in den Raum geworfen, und doch menschliche Sehnsucht, Leid, Glück, Versagen, Erfolge immer mitschwingen lassend. Immer nah am Menschen und seinem wirklichen Leben, ohne diese Nähe und die bewegenden Kräfte seiner Protagonisten allzu plakativ zu formulieren. Hier ist die Fantasie des Lesers gefragt, den handelnden Personen in ihren Motiven auf die Spur zu kommen.
Einige alte und einige brandneue Geschichten sind es, die in diesem Band nun sich versammeln. So wie die des Mannes, der mit seiner Frau gemeinsam zu feige ist, der unter häuslicher Gewalt leidenden Nachbarin beizustehen und sich dann aber in die Fantasie eines Heldenfilmes hineinbegibt, als würde dies für das wahre Leben ausreichen. Oder doch lieber gleich eine neue Welt erschaffen, da die alte so fragwürdig im Raume steht. Fast schmerzlich ist es, mit zu erleben, wie es da, wo Not wäre, nicht ausreicht mit dem Mut, die Fantasie aber innerlich ganz andere Bilder erzeugt, mit denen dann unbefriedigt eingeschlafen werden wird.
Oder die kleine Beichte eines notorischen Lügners, der einerseits das Kühle, Distanzierende, Trennende seiner Lügen erlebt, selbst seine Mutter kann ihn nur noch mit Misstrauen betrachten, wenn er wieder sich selber inszeniert. Und die dennoch der Liebe zu ihrem Sohn nicht entrinnen kann. Wird das sein Herz in irgendeiner Form bewegen können?
Menschen tauchen auf mit Brüchen, Menschen, die manches Mal versuchen, den vermeintlich leichteren Weg für sich zu gehen und doch in Sackgassen nur landen. Wie jener Vater, das Beste wollend, der seinen Sohn zur Erziehung in ein Internat schickt, selber aber seitdem keine innere Ruhe mehr findet. Ahnt er, dass sein Sohn den Vater einfach viel mehr brauchen würde als eine Form externer Erziehung?
Menschen, die einer Sehnsucht nachlaufen, die sich vor den Anforderungen des realen Lebens verstecken und zurückziehen, Menschen aber auch, die versuchen, sich einen Weg in ihrem Leben zu bahnen wie jene Studentin mit den vielen Erfahrungen und dem heranwachsenden Sohn, die sich im Wandel befindet zu ihrem eigenen Weg, aber auch ernsthaft gefordert wird in dem, was sie ihrem Sohn mit auf den Weg geben will.
Mit konzentrierten Sätzen, mit dem Vermeiden von ausschweifenden Erläuterungen oder abschweifenden Nebenschauplätzen bleibt Tobias Wolff in jeder Geschichte konsequent an seinen Protagonisten und den Kernfragen, die sich ihnen in der konkreten Situation stellen. Fragen, Haltungen, die nicht einfach so befriedigend erläutert werden, sondern die einen Prozess beleuchten, der schon länger im Vorfeld die Personen bestimmt und der noch weit nach der konkreten Episode aus ihrem Leben, die Wolff schildert, seinen Fortgang nehmen wird.
Tobias Wolff beschreibt das Leben in Gegenwartsaufnahmen aus dem Innenleben seiner Figuren mit Themen, die allgemein menschlich sind, die allesamt bestimmt sind von einer unnennbaren Sehnsucht nach Glück, einem besseren Leben, manchmal einfach von der Sehnsucht nach Ruhe. Drückende Themen sind es überwiegend, die er benennt, ein Buch fröhlicher Geschichten liegt hier nicht vor. Aber genaue Betrachtungen des menschlichen Seins in sprachlich ausgereifter Form, die die Fantasie des Lesers gleichermaßen anstrengt wie anregt.
[*] Diese Rezension schrieb: Michael Lehmann-Pape (2011-02-20)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.