Vier Autoren und eine Autorin widmen sich in vorliegendem Sammelband der Geschichte Österreichs, die reichhaltiger kaum repräsentiert werden könnte. Von der römischen Herrschaft, über die Karolingerzeit, die Länder und das Reich, vom Herzogtum Österreich zum Haus Österreich von Maximilians Tod bis zum Aussterben der männlichen Linie, vom Tod Karls VI. bis zum Wiener Kongress und schließlich vom Kaiserreich bis zur Ersten und Zweiten Republik lauten die Kapitel dieser umfangreichen Schilderung der Historie des einstigen Habsburgerreichs. Aber Österreich war eben so viel mehr als nur die Geschichte seiner Dynastie, wie der Herausgeber Thomas Winkelbauer, Professor für Österreichische Geschichte an der Universität Wien und Direktor des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung schon in der Einleitung erklärt.
Österreich: Das pulsierende Herz Europas?
"Das pulsierende Herz eines zerschlagenen Körpers", nannte Hugo Hantsch im Bürgerkriegsjahr 1934 die zum Ständestaat verunstaltete Erste Republik. Als Benediktinerpater und großösterreichischer Historiker ging er davon aus, dass "der Österreicher" den Schatz den er als Universalerbe der Habsburgermonarchie geerbt habe, gut hüten müsse. Aber was genau war dieses Österreich, das sich zwischen dem 10. und 19. Jahrhundert mitten in Europa entwickelt hatte? Vom Privilegium minus Friedrich Barbarossas bis zum Privilegium maius Friedrich III. etablierte sich das Land Österreich vom Land ob der Eins zur Herrschaft Österreich und schließlich zum Haus Österreich. Im Spätmittelalter sprach man vom innerösterreichischen, oberösterreichischen und vorderösterreichischen Ländern, die gemeinsam schließlich die Monarchie Austriaca konstituierten. Diese wurde wiederum durch die Napoleonischen Kriege vom Kaisertum Österreich abgelöst, das Mitte des 19. Jahrhunderts zur Österreichisch-Ungarischen Doppelmonarchie mutierte. Die eigentliche Habsburgermonarchie reduziert sich begriffsgeschichtlich dann auf die Jahre 1848-1918. Dieses Kapitel wird von Brigitte Mazohl, der Bozner Historikern, die an der Uni Salzburg habilitierte, bearbeitet resp. vorgestellt. Die durch die nationale Propaganda des 19. Jahrhunderts zu Unrecht als "Völkerkerker" verunglimpfte Monarchie sei ihrer Ansicht nach durchaus als "Modell für ein einigermaßen friedliches Mit- und Nebeneinander unterschiedlicher Volksgruppen und Nationen in einem größeren gemeinsamen politischen Verbund" zu sehen. Schließlich seien es vor allem Frankreich und England gewesen, die als ethnisch homogene Nationalstaaten den Nationen Österreichs als Vorbild dienten, das "Haus Österreich" entlang nationaler Grenzen zu zerschlagen. Aber die Habsburgermonarchie war ein Fleckerlteppich: 16 Länder, zehn Nationen, 20% Deutsche und Magyaren, 12% Tschechen, die restlichen Nationen zwischen 2 und 5% der Gesamtbevölkerung. Der "lebende Anachronismus" Österreich wurde spätestens durch die Niederlage bei Königgrätz (1866) in seinen Ambitionen auf eine Vormacht im Deutschen Bund endgültig beschnitten. "Königgrätz bedeutete das Ende der österreichischen Herrschaft in Oberitalien und vor allem (...) das Ende der Führungsrolle im deutschen Raum." Damit verschoben sich aber auch die Grenzen Mitteleuropas, denn Österreich wurde inmitten Europas zu einem osteuropäischem Staat, dessen mitteleuropäische Führungsrolle von den beiden Nationalstaaten (!) Italien und Deutschland erfolgreich beendet worden war. Aber dieser Verlust der Mitte sollte noch Folgen bis ins 20. Jahrhundert haben.
Österreich durch die Jahrhunderte
Die einzelnen Kapiteln werden von Zeittafeln und Karten unterbrochen, womit man sich einen leichteren Überblick über die komplexen Vorgänge des jeweiligen Jahrhunderts machen kann. Auch auf Literatur, Musik und Kultur der jeweiligen Zeit wird eingegangen und genau zitiert, was die Diskurse der jeweiligen Zeit waren. Im Anhang befindet sich eine Stammtafel, Verzeichnis der Karten, Literaturhinweise, ein Personenregister sowie Kurzbiographien zu allen Autor:innen. Die fünfte Auflage unterscheidet sich - wie Winkelbauer im Vorwort erklärt - von den vorherigen u.a. dadurch, dass wichtige Ereignisse und Entwicklungen der Jahre 2020 bis 2023 durch ein zusammenfassendes Schlusskapitel sowie einige Unterkapitel der Revolutionsjahre 1848/49 sowie kleine Verbesserungen und Retuschen in anderen Kapiteln ergänzt wurden. Auch die Literaturhinweise wurden aktualisiert und um Neuerscheinungen ergänzt, so Winkelbauer.
Hrsg. von Thomas Winkelbauer
Geschichte Österreichs
von Christian Lackner, Brigitte Mazohl, Walter Pohl, Oliver Rathkolb und Thomas Winkelbauer
2024, Broschur. Format 15 × 21,5 cm, 675 S., 9 Karten
ISBN: 978-3-15-011500-8
Reclam Verlag
29,00 €
[*] Diese Rezension schrieb: Juergen Weber (2024-10-29)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.