Eigentlich heißt er Marc Zaffran, lebt nach vielen Jahren, die er als Landarzt in Frankreich verbrachte (vgl. auch sein erfolgreich verfilmtes Buch über den „Doktor Bruno Sachs“) mittlerweile in Kanada, arbeitet aushilfsweise weiter als Arzt in einer Klinik, widmet sich aber hauptberuflich dem Schreiben und Übersetzen.
Die Rede ist von Martin Winckler, dessen neuer bei Kunstmann erschienener Roman hier anzuzeigen ist. Obwohl es keinerlei autobiographische Zusammenhänge zu geben scheint, ist die erzählende Hauptperson wieder ein Arzt. Mit ihm, er gibt ihm den Namen Emmanuel Zacks und stellt das Buch schon dadurch in die Reihe seiner früheren Romane, geht es Winckler um die Frage, was mit dem hippokratischen Eid eines Arztes geschieht, wenn ein Patient nach allen medizinischen Befunden nicht mehr zu retten ist, und dieser selbst einen Arzt um Unterstützung beim Sterben bittet.
In kurzen Episoden, manchmal nur wenige schmale Seiten lang, erzählt Emmanuel Zacks von seinem Leben, seinem Weg zum Arztberuf und wie er, als seine Mutter starb, versäumte sie zum Reden über das, was sie bewegte zu ermutigen. Nachdem der mit einem geradezu fotografischen Gedächtnis ausgestattete Zacks eine Zeit lang Schwangerschaftsabbrüche vornahm, wechselt er, unzufrieden damit, in die Schmerztherapie. Er besitzt ein außergewöhnliches Mitgefühl, er spürt sozusagen die Schmerzen seiner Patienten selbst. Das bringt ihn zwar den Menschen sehr nahe, näher, als er es manches Mal ertragen kann, aber es führt auch zu Konflikten mit der Leitung des Krankenhauses. Denn gerade die zum Himmel schreienden Verhältnisse in den Abteilungen, in die Menschen zum Sterben gebracht werden, rufen seinen Widerspruch hervor.
Als der ehemalige Kollege Andre, der Emmanuel als sensiblen Mediziner schätzt, sich an ihn wendet, ist er todkrank und will nicht mehr leben. Zu Emmanuel sagt er: „Es wird leicht, du wirst sehen.“ Er wird der erste in einer langen Reihe von Menschen sein, die sich von Emmanuel Hilfe erhoffen. Hilfe, die zunächst darin besteht, dass er manchmal viele Stunden bei ihnen bleibt, und ihnen zuhört. Die Todgeweihten wollen sich erleichtern, erzählen von problematischen Situationen in ihrem Leben, von Versagen und Schuld. All das, von dem sie glauben, es ihren nächsten Familienangehörigen nicht zumuten zu können. Wie in einem religiösen Beichtgespräch suchen all diese Menschen, die Emmanuel gegenseitig weiterempfehlen so etwas wie Erlösung, bevor sie sterben, meist mit Hilfe und Unterstützung von Emmanuel.
Doch kann man aus Menschlichkeit töten? Für Emmanuel Zacks ist diese Frage auf eine für den Leser stellenweise verstörende Weise klar. Jedenfalls so lange, bis er Nora kennenlernt und sein Leben eine ganz andere Wendung nimmt…
Martin Wincklers kurzer Roman geht unter die Haut. Er verführt zu schneller Zustimmung zu dem, was die Hauptperson tut, und legt doch immer wieder Spuren aus, auf denen der Widerspruch gehen kann. Denn es bleibt einer der drängendsten Fragen: darf ein Arzt oder irgendwer sonst einem Menschen auf dessen Wunsch zum Sterben verhelfen?
„Es wird leicht, du wirst sehen“ ist aber nicht nur ein Roman über ein umstrittenes ethisches Thema, sondern auch eine ungewöhnliche und sehr bewegende Liebesgeschichte.
Martin Winckler, Es wird leicht, du wirst sehen, Kunstmann 2013, ISBN 978-3-88897-863-0
[*] Diese Rezension schrieb: Winfried Stanzick (2013-12-11)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.