„Es ist eine Klapse oder – wie nennt man das heute? – eine Art Seniorenheim, eine Zuflucht für die Gebrechlichen, die Alten, die Unzufriedenen oder die auf andere Weise Unzulänglichen. Scheut euch uns drei doch an – wir sind die Universität.“ Wer hier so scharf ins Gericht geht mit der höchsten Bildungsinstitution jedes Landes, hält sich selbst für einen Teil derselben, auch wenn er nicht alt, sondern einfach „anders unzulänglich“ ist, wie es ihm sein Kommilitone auch einbläut: „Du entkommst mir ebenso wenig, mein Freund. Nein, du nicht. Wer bsit du? Ein schlichter Bauernsohn, wie du gern vorgibst? Keineswegs. Auch du gehörst zu den Unzulänglichen – du bist der Träumer, der Verrückte in einer noch verrückteren Welt, unser Don Quichotte des Mittleren Westens, der, wenn auch ohne Sancho unter blauem Himmel herumtollt.“
Der Roman „Stoner“ hat selbst eine bewegte Geschichte hinter sich. Als das Buch nämlich 1965 in den USA herauskam, wollte es trotz positiver Kritiken kaum jemand lesen, aber die 2000 gedruckten Exemplare waren dann doch schnell weg, als ein weiterer amerikanischer Literaturwissenschaftler das Buch in einem Aufsatz als „ernsthaft, wunderschön und berührend“ (Serious, beautiful and affecting) beschrieb. Erstmals 2006 stellten sich andere Kritiker wiederum die Frage, warum das Buch nicht besser bekannt sei. Morris Dickstein nannte es schließlich in der New York Times „a perfect novel“ und es folgten bald darauf Übersetzungen in mehrere europäische Sprachen in sechstelligen Auflagen. Der große „vergessene Roman“ der amerikanischen Literaturgeschichte erzählt das Leben eines Mannes, der als Sohn eines Farmers geboren wurde, es aber schließlich doch an die Universität schafft und das sogar als Professor für Literatur. Einerseits als eine klassischer Campus-Roman, in dem es um den Aufsteiger aus armen Verhältnissen geht, andererseits aber auch ein Gesellschaftsroman, über die Unmöglichkeit der Liebe in den Zeiten der Großen Depression, denn das ist die Zeit in der der Roman anfangs spielt, um bis in die Jetztzeit (60er Jahre) herauf, das Leben des Stoners zu erzählen. Auch die seltsame Ehe mit seiner Frau, die immerhin zu einer Tochter führt, wird mit eindringenden traurig stimmenden Worten beschrieben, da seine Frau ihn nicht liebt oder nicht lieben kann, aber es dennoch versucht.
Die persönliche Tragik dieses Helden wird wohl am besten mit den Worten des Autors selbst beschrieben: „Was er am höchsten schätzte, wurde aufs Schlimmste verraten, wenn er zu seinen Studenten sprach; was für ihn am lebendigsten war, verkümmerte in seinen Worten, und was ihn zutiefst beweget, wurde kalt und blass, sobald er es aussprach.“ Doch zwei Seiten weiter folgt schon der Trost: „Er spürte, dass er endlich ein richtiger Lehrer wurde, also ein Mann, der sein Buch für wahr hält und dem eine Würde der Kunst gegeben ist, die nur wenig mit seiner Dummheit, Schwäche oder menschlichen Unzulänglichkeit zu tun hat.“
John Williams
Stoner
Aus dem Englischen von Bernhard Robben
Deutsche Erstausgabe
352 Seiten
ISBN 978-3-423-28015-0
September 2013
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2014-02-25)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.