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Urs Widmer - Vor uns die Sintflut
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Widmer, Urs:
Vor uns die Sintflut

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(Bücher frei Haus)

Man meint doch manchmal, der Dürrenmatt-Stil sei abgestorben und werde von niemandem mehr gemacht und gelesen, seit Friedrich Dürrenmatt nicht mehr unter uns ist. Einstmals weltumspannend legendär, heute vielen jungen Heroinen wie Judith Hermann, Juli Zeh, Julia Franck und Julia Engelmann wohl doch eher ein Ausbund an Frühvergreisung und kleinbürgerlichen Höhenrausches dünkend. Dann aber, ganz winzig zuerst, ganz, ganz winzigklein, weit hinten auf einer leeren, weißen Ebene unter klarstblauestem Himmel erkennen wir das Schülerlein Urs und dann merken wir gleich: „Der lacht ja!“

Denn dieser fidele Urs, an sein Schülerpult fest angeschraubt und den Füller ins Papier fester jetzt noch einschabend (wie vor ihm der Friedrich) hat gerade den Mond abstürzen lassen, hoppla!, die Nacht ans Land steigen, den sibirischen Eistiger durch einen brennenden Reif springen heißen - im Zirkus Knie in der Rosentalanlage. Die Menschheit ist erst entstanden und schon wieder vergangen, Kometen sind in Planeten gekracht, ein schwarzes Loch hat auch dazu gelacht und der Käptn Kidd ist gepäddelt über den Urner See, Güllen wurde umbenannt in „Raumspray“, zehntausende Bomben sind hochgegangen und haben die gesamte Welt atomar verstrahlt und ihren Schöpfer gleich mit. Der steht dort oben, ein Henniez in der Hand, und er strahlt wie der Rosenlauigletscher beim Chlausentreiben. Immer einmal ist es ziemlich lüpfig da, luschtig, nicht so ernst wie zum Beispiel bei den Schwaben drüben (die mit ihren Nazis und weiblichen Beziehungsproblemen meischtens).

Sie sind beide zwar ja noch Schüler gewesen, der Ursli und der Fritzli, obwohl sie längst zur Elite im „Institut Puschlav“ gezählt wurden, aber von allem miteinander das Beste war erst noch, dass man in Bagdad nicht einmal wirklich gewesen sein musste , auch nicht auf der Venus , um über Sindbads Seefahrten und die Explosion des Erdballs zum Ersten Äugsten alles berichten zu können, was man kennen muss.

Was es nur braucht dazu, ist ein währschaftes Selbstbewusstsein: Getrost vertrauen, dass man den Leuten alles, wirklich alles, aber komplett, tous y compris erzählen kann (und zwar auf 30 Seiten), sobald man über die Macht des Wortes nur einmal reschtlos gebietet, jedes einzelne von den Geißen, Gneisen, Löwenzähnen und Ackersalatblättchen zum Springen und dazu noch zum Klingen bringen kann!


Zitat:

Der Schöpfer, der jetzt durchaus beschreibbar war - untersetzt, hängende Arme, Keule in der Hand -, setzte sich irgendwo im Zweistromland aus und an den Hängen des Berges Ararat. Er war bald von Männern und Frauen umringt, die aus ihren Höhlen gestürzt kamen. Er redete mit ihnen, den Grunzern und Knurrern, sagte „Löwe“, „Schachtelhalm“, „Eichhörnchen“ und „Baum“. Alle sperrten Ohren und Münder auf. Zuweilen fiel er ins göttliche Sprechen zurück, aus Vergeß, und dann stürzte ein Angesprochener schreiend um, mit geplatztem Trommelfell. Oder ein Dornbusch brannte und setzte die in Panik, die das Wunder sahen.


[*] Diese Rezension schrieb: Klaus Mattes (2015-02-16)

Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.


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