„Ein sozialistisches Land braucht also keine Bauchredner oder Zauberer? Jongleure? Teppiche, Feuerwerk, Blumen, Kaleidoskope?“ Schon 1933 hatte Rodtschenko Gulag-Häftlinge beim Bau eines Kanals fotografiert und als das Stalin-Regime gegen die letzten Reste der ehemaligen revolutionären Avantgarde zu Felde zog, flüchtete sich Rodtschenko in unpolitischere Themen, wie etwa den Zirkus. „Kunst ist Dienst am Menschen. Aber die Menschen werden weiß Gott wohin geführt. Ich will die Menschen zur Kunst führen, nicht die Kunst zu ihrem Führer werden lassen. Wurde ich zu früh oder zu spät geboren? Kunst sollte nichts mit Politik zu tun haben“, lautet ein weiteres Zitat von Alexander Rodtschenko, der mit seiner einzigartigen Foto-Ästhetik auch heute noch junge Menschen zu beeinflussen vermag, wie etwa unlängst das Plattencover der britischen Band „Franz Ferdinand“, das ein Poster von Lilja Brik aus dem Jahre 1924 zitiert.
Avantgarde und Revolution
Alexander Rodtschenko hatte aber nicht nur einen ganz eigenen Fotostil geschaffen, sondern gehört zu den einem der bekanntesten avantgardistischen Malern, Konstruktivist von Möbeln, Collagen und Fotomontagen sind weltweit bekannt. Die Ausstellung „Rodtschenko. Eine neue Zeit“ im Hamburger Bucerius Kunst Forum würdigte den Revolutionär und Vordenker der modernen Kunst und legt nun gemeinsam mit dem Hirmer Verlag diesen hochwertigen Katalog zur Schau vor in dem der Schwerpunkt auf das malerische Werk des Künstlers gelegt wird. Mit seinem berühmten „Triptychon“ erregte Alexander Rodtschenko schon 1921 Aufsehen. Ohne Struktur oder Muster bestehen die drei Gemälde nur aus jeweils einer einfarbigen Fläche – in Rot, in Gelb und in Blau. Kasimir Sewerinowitsch Malewitsch hatte sein in der Geschichte der Kunst wohl wichtigstes Werk – das Schwarze Quadrat – zwar schon erstmals 1915 ausgestellt, populär wurde es aber wohl erst durch die Revolution. Auch Das Werk Rodtschenkos wirkt wie eine Karikatur darauf, aber er sah darin tatsächlich die Quintessenz und in gewisser Weise auch die Krönung der Malerei. Rodtschenko sprach vom „logischen Ende“ der Malerei und das schon in den Zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Rodtschenko sah sich bald mehr als Grafiker, Architekt und Fotograf, mit „Mädchen mit Leica“ oder „Portrait der Mutter“ wurde er dann auch zum „Ikonenmaler der Fotokunst“.
Ikonenmaler der Fotokunst
Nach seinen Erfolgen in den Zwanzigern in denen er sogar als Professor in Moskau unterrichtete, wurde aber auch Rodtschenko bald ein Opfer des von „oben verordneten“ sozialistischen Realismus. Einfache Werke, die den Sieg der Arbeiter und Bauern darstellten, verdrängten die Avantgarde und Rodtschenko hatte Glück, überhaupt am Leben zu bleiben. Der druchwegs sehr hochwertige Katalog wird durch Essays von Experten wie Hubertus Gaßner, Direktor der Hamburger Kunsthalle, und Irina A. Wakar, Kuratorin der Staatlichen Tretjkow-Galerie Moskau, ergänzt. Ein anderes seiner bekanntesten Fotowerke ist übrigens auch abgebildet. Es zeigt den futuristischen Schriftsteller, der sich im Alter von 37 Jahren erschoss, glattrasiert auf einem Stuhl, mit Zigarette und Hut. Aber auch viele von Rodtschenkos grafischen Arbeiten und Skulpturen sind in vorliegendem Katalog auf hochwertigem Papier abgebildet.
Alexander Rodtschenko
Eine neue Zeit
Hrsg. Ortrud Westheider und Michael Philipp
Sofort lieferbar.
240 Seiten mit 149 Farbtafeln, 80 Abbildungen in Farbe und 37 in Schwarz-Weiß
22,5 x 28 cm, gebunden
München, 2013
ISBN: 978-3-7774-2003-5
45,00 € [D] | 57,90 SFR [CH]
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2013-07-05)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.