Du wirst dem Sturm nicht gewachsen sein, aber ich antwortete: Ich bin der Sturm. Ein anonymes Zitat stellt die Autorin in ihrem dritten Roman an den Anfang, denn die Protagonistin Marlene ist rauschgiftsüchtig und als Scheidungskind prädestiniert, sich selbst mehr als anderen Probleme zu machen. Marlene Beckmann ist 31 Jahre alt, hat einen Freund und sogar einen Superjob in den Neuen Medien, wo sich richtig erfolgreich ist. Aber ihre schlechten Kindheits- und Jugenderfahrungen nagen so sehr an ihr, dass sie sich nur schwer ihrem Schicksal entziehen kann. Aber: macht man sich einen großen Teil dieses „Schicksals“ nicht auch selber?
Das Prekariat als Generationskiller
Kathrin Weßling’s Sprache ist rau und direkt, sie nimmt sich kein Blatt vor den Mund, wenn sie den Zustand ihrer Protagonistin auf Entzug beschreibt. Marlene ist zwar kein Junkie – davon grenzt sie sich klar und deutlich ab – aber auch die Generation Prekariat ist nicht zimperlich was den Gebrauch von Tuning-Mitteln betrifft, wenn es um die eigene Karriere geht. Ist sie gar vielleicht nur deswegen so leistungsfähig? Als dann alles zusammenbricht hat sie den Affen am Buckel und nicht mal ihr Freund Jakob kann ihr noch helfen, denn er ist nach Teneriffa gefahren, während sie sich für den sicheren Job entschied, den sie dann doch hinwirft. Denn ihr Urlaub, auf den sie seit Monaten gewartet hat, wir ihr nicht genehmigt. Vor die Alternative gestellt Urlaub oder Karriere entscheidet sie sich für letzteres, um es dann doch noch hinzuwerfen und in einer Art Amoklauf sich an sich selbst (dafür) zu rächen.
Mosaike aus Zerbrochenem
Der Zwang zur (Selbst-)Optimierung hat eine ganze Generation unter Druck gesetzt. Denn „dabei sein“ war oft wichtiger als „zu sein“. „Zurück bleibe ich, Marlene, auf die man so stolz ist. Die all die Jahre nichts gesagt hat und niemandem was erzählt hat, die immer alles zusammengehalten hat, auch dann noch, als die ganze scheiß Welt um sie herum auseinandergefallen ist. Ich bleibe mit der Lüge zurück, die mein Leben ist, alles ist super, alles ist okay, auch wenn alles einfach nur noch kaputt ist.“ Weßling’s einfache und klare Sprache besticht, denn es wirkt sehr authentisch, wenn sich die Protagonistin diese Gedanken macht und dann dennoch versucht, mit aufrechtem Gang und Gewissen weiterzumachen. „Wie viel Marlene Beckmann steckt in ihnen?“ Die Autorin macht sich einen Spaß daraus und fügt in ihren flüssig geschriebenen Roman auch diesen Persönlichkeitstest an, wie man ihn in Frauenzeitschriften schon gesehen hat. Am Ende feiert sie doch noch einen weiteren Geburtstag. Sie überlebt. Und als „digital native“ weiß sie auch, dass man im WWW ewig lebt.
Kathrin Weßling
Super und dir?
Roman
2018, Klappenbroschur, 256 Seiten
ISBN-13 9783961010103
Ullstein Verlag
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2018-07-10)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.