Kaum jemand, der im praktischen Arbeitsfeld der Beratung und des Coachings arbeitet, richtet sich nach einer Form reiner Lehre. Zumeist bauen auf einen roten Faden einer Grundausbildung und Kernüberzeugung eine Vielzahl von Methoden und Beratungskonzepten mit ein, die praktikabel und nutzbringend erfahren worden sind. Paul Watzlawick selbst hat auf die Frage nach seiner zugrunde liegenden therapeutischen Haltung und Methodik immer wieder beton, er nutze „alles, was es tut“.
Im Rahmen einer kooperativen Haltung der Verbindung beratender Grundhaltungen und Arbeitsweisen hat nun Sylvia Kere Wellensiek ein Handbuch zum Thema eines solchen integralen Coachings vorgelegt. Grundlage ihrer Ausführungen ist das, von ihr entwickelte, Human Balance Training, dass in sich verschiedene Formen von therapeutischen Ansätzen, Kommunikationstheorien, naturwissenschaftlichen Forschungsergebnissen und Elemente von Weisheitslehren vereinigt und im Rahmen eines ganzheitlichen Ansatzes für die Situationen der Beratung und des Coachings nutzbar macht.
Wellensiek führt zu Recht zunächst ins Felde, dass ein hoher Wissenstand und eine vielfältige Methodik an Entwicklungs- und Lernprozessen mittlerweile bestens praktisch erforscht vorhanden ist, im Rahmen dessen sich eine Erkundungsreise der vielfältigen Ansätze und Methodiken sich überaus lohnenswert gestaltet- Als ganzheitlicher Ansatz wird sicherlich einiges an Grundlagen einfach gesetzt, ohne diese zur Zeit empirisch beweisen zu können, doch gelingt es der Autorin, in plausibler und einleuchtender Weise die einzelnen Elemente und die Integration derselben vorzustellen, so dass jede Gefahr einer esoterischen Heilslehre oder der Ratio widersinniger Behauptungen gar nicht erst in den Raum tritt.
Durch den hohen Wert, den das Konzept auf den Bereich der begleitete Achtsamkeit legt, ergibt sich ein direkter Nutzen gerade auch in der Schnittstelle zwischen Einsicht und tatsächlicher Umsetzung. Gerade dieses Element ist besonders beachtenswert, da vielfach durchaus strukturierte und sinnvolle Coachingprozesse am Praxistext letztlich scheitern. Eine Achtsamkeit, die den Formulierungen und Einlassungen der Autorin im Buch ebenfalls abzuspüren ist und somit nicht als reine Theorie postuliert, sondern bereits während des Lesens deutlich wird.
Ganzheitlich und, vor allem, in der Sprache und den benutzen Beispielen und Verdeutlichungen zügig zu lesen und einfach zu verstehen, wird im ersten Teil die Methodik in ihrer Gänze zunächst vorgestellt unter besonderer Beachtung des pragmatischen Nutzens. Der sich anschließende zweite Teil legt seinen Schwerpunkt auf die innere Haltung des Coaches. Gerade durch die methodische Vielfalt ist einer reifen und achtsamen Haltung besonderes Gewicht beizumessen, eine Verantwortung, die Wellensiek unmissverständlich und klar zur Sprache bringt, eben so, wie sie Hilfen zur Reflektion und zur Aneignung notwendiger Haltungen benennt. In 12 praktischen und durchaus umsetzbaren Schritten bietet sie eine Vorgabe zur eigenen Bewussteinserkundung an, die eine Aneignung des Ansatzes gut ermöglicht. In den letzten Teilen des Buches wendet die Autorin sich dem Beratungsprozess als solchem zu. Strukturierte Schritte, Kernthemen menschlicher Grundstruktur, Übungen und Methodiken werden hier verständlich und ausführlich dargelegt.
In sich geschlossen betrachtet ist das Buch als sehr gelungen zu kennzeichnen. Jederzeit wird klar und deutlich, was die Autorin auszudrücken gedenkt, die Methode in sich ist stimmig und schlüssig, nicht nur in der Darstellung, sondern auch in den Grundlegungen und im Aufbau. Allerdings lässt es sich nicht vermeiden, dass allein sprachlich eine gewisse Nähe zu esoterischen Praktiken assoziiert wird und manche Praktiken z.B. der Körperarbeit ebenso zur Person des Coaches passen müssen, wie manche sprachliche Wendungen und Inhalt fernöstlicher Weisheitsliteratur in ihrem inne liegenden Pathos auf nüchtern sachlich orientierte Menschen auf den ersten Blick eher abschreckend Wirken.
Dennoch ist es eine richtige und der Gegenwart angemessene Beratungshaltung, dass komplexe Umstände ein komplexes Verständnis benötigen und mit pauschalen Antworten oder der Postulierung „einzig wahrer“ Theorien nicht klientengerecht zu lösen sein werden.
Ein guter Einstieg in das Buch bietet daher das Kapitel über die Eckpfeiler des human Balance Trainings und, sodann, die Bereitschaft, zumindest in Teilen integrative Methoden in der eigenen Praxis zu erproben. Das Bemühen der Autorin, möglichst sachlich und situationsbezogen darzustellen, ist hierfür äußerst hilfreich und kann durchaus dazu verhelfen, Vorbehalte gegenüber einer teils fremden Welt der „Heilung“ abzubauen.
Das Ziel der Herstellung einer Balance des Lebens und einer eigenen Präsenz im Leben verbindet letztendlich alle Versuche von Beratung und Coaching und ist auch durch Sylvia Kere Wellensiek in bester Weise gesetzt. So ist es ein Experiment wert, die eigene Interpretationsmatrix mit ihren raschen Werturteilen einmal hinten an zu stellen und sich offenen Blicks dem Human Balance Training zu nähern.
[*] Diese Rezension schrieb: Michael Lehmann-Pape (2010-11-22)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.