In seinen »Parlandos« setzt A.J. Weigoni der Vergänglichkeit der Sprache den Gesang, entgegen. Es versammeln sich in diesem bewußt heterogen zusammengestellten Gedichtband philosophische Maximen, Gedankensplitter, mystische Reflexionen und rhapsodische Eindrücke. So vielgestaltig die Anlässe, die den VerDichter zum Schreiben anregten, so vielschichtig gestalten sich diese Arbeiten, die für das westfälische Landestheater, das Mecklenburgische Künstlerhaus Schloss Plüschow, die Kunstsammlung NRW und den Klangturm St. Pölten binnen 25 Jahren entstanden sind. Dieser Band bietet einen konzisen Überblick über Weigonis dichterisches Schaffen.
Es gehört zu den Auffälligkeiten dieser Zyklen und Langgedichte, daß Weigoni die Sprachräume, die er ausschreitet, bevor er sie manchmal in geradezu schwindelerregende Höhen treibt. Nach dem Sturz ins Abgründige werden akribisch Bodenproben genommen, werden Bedeutungsablagerungen untersucht, wird genau analysiert, was da als Bodensatz vorhanden ist. In dieser Lyrik verdichten sich Zeit- und Raumdimensionen; Realität und Traum verschränken sich, die Laut- und Klangbilder werden an ihre Ursprünge zurückgeführt, bis ein archaischer Rhythmus zu vernehmen ist. Seine Fähigkeit besteht darin, allein aus Haltungen und Gesten zu erkennen, was den Menschen widerfahren ist. Er baut seinen Stoff aus Beobachtungen. Als Flaneur lockt Weigoni den Hörer in Fallen und Verstecke quer durch die Weltliteratur, durch die er sich, bildungssatt und erkenntnishungrig, als Cicerone bewegt, um auf immer wieder überraschende Weise Arglist und Täuschung zum Arsenal der Kunst auszurufen.
In hochkonzentrierter Form macht das Monodram »Señora Nada« etwas, was nur die Literatur kann, aber auch sie nur sehr selten: Es macht Dinge vorstellbar, die man sich nicht vorstellen kann, weil es nicht auszuhalten wäre, wenn man es täte. Doch wenn sie wie hier verwandelt erscheinen, verdichtet, in jedem Wortsinn, zu Literatur, werden sie, wenn schon nicht erträglich, so doch erlebbar in einer Mischung aus Grauen und ästhetischem Genuß. Dieses Monodram handelt von der Konstitution einer Gegenwirklichkeit der psychischen Prozesse. Was scheinbar geschieht, ist nur die Oberfläche eines ganz anderen Abenteuers. Dem Titel liegt die Auffassung zugrunde, daß sich jeder Mensch in seinem Bewußtsein eine Welt nach seinem Maß erschafft – ein Vorgang, den das Werk gleichsam in der Schrift wiederholt. Die erzählerischen Strukturen des Monodrams geraten ins Wackeln, die semantischen und morphologischen Valeurs der Wörter rücken ins Zentrum. Die entfesselte Sprachalchemie triumphiert über den Traditionalismus. Die Redensarten haben versagt, so bleibt nur der Weg in die innere Demontage und Sprengung aller konditionierten Sprechhaltungen: heraus aus den Festlegungen, hinein in die Polysemie, das turbulente Spiel der Mehrdeutigkeiten. Seine Poesie ist kein Prozeß, in dem man eine Erkenntnis verschlüsselt oder treffender formuliert, sondern eine Sphäre menschlichen Tuns, die so autonom ist wie die Musik, die bildende Kunst, der Tanz. Will man beschreiben, warum diese lyrischen Monodramen eine so betörende Wirkung entfalten, könnte man sagen: Da ist ein Klang von Stille.
Zwischen die großen Blöcke seiner Mondramen sind unterschiedliche Zyklen, die sich sprachlich auf den konkreten Ort, bzw. das gesetzte Thema einlassen. Sie sind intellektuell, konzentriert, aber auch witzig und ironisch. Die Erprobung neuer Sprach- und Spielformen und Verfremdungen besteht in einem poetischen De-Konstruktivismus. Diese Gedichte wollen gesprochen werden, die haben einen Resonanzkörper, der mit einer Stimme zum Klingen gebracht werden soll. Hier zeigt sich, wie sich Weigoni zwischen Musik, akustischer und bildender Kunst bewegt, unterstützt von Künstlern wie Anna Jacquemard, Haimo Hieronymus und Peter Meilchen oder auch Komponisten wie Frank Michaelis und Tom Täger. Im Bermuda-Dreieck zwischen Arnsberg, Düsseldorf und Bad Mülheim entstand jene ästhetische Kreativität und schöpferische Irrationa¬lität in Bild, Wort und Ton. Man liest diese Mikrozyklen auch so, als würde man einer geistreichen Konversation unter alten Weggefährten lauschen, die sich nichts mehr beweisen müssen und nur daran interessiert sind, einander neue Einsichten mitzuteilen. Die größte Wirkung erreicht Weigoni, wenn er Leerstellen und Verschwiegenes einfügt, die das offene Geheimnis preisgeben, und das Verschwiegene ist höchst beredt, diese Zyklen murmeln vor sich hin, deutlich und hörbar für die Leser. Man sollte sie lesen und hören zugleich.
Jo Chang umweht in »Unbehaust« eine existenzielle Fremdheit. Dieses Monodram ist ein Irrgarten des konjunktivischen Prinzips. Noch herrscht das Allbekannte, bald könnte alles anders sein. Das Grundvertrauen in die Sagbarkeit der Dinge und in die Möglichkeit poetischer Wahrheit haben ihr das Überleben ermöglicht und sie auf den Königsweg ihrer Selbsterrettung durch Poesie geführt. Für Jo Chang markieren die Erfahrungen von Expatriierung und Sprachverlust die elementaren Schicksalsdaten ihrer Existenz, sie reklamiert das lyrische Wort als das Eigenste, das selbst im Stadium tiefer Verzweiflung als lebendiges Wort angerufen werden kann. Eine unterschwellige Distanz läßt sich dieser Figur gegenüber nur dann ausräumen, wenn man dieses Langgedicht nicht als bloße Intelligenzleistung versteht. Weigoni ist nicht anmaßend genug, Antworten auf alles zu geben. Er hat sein eigenes Maß einer Gegensätzlichkeit im Sittlichen, und das bietet er mit diesem Monodram an: Ein Denkspiel und das Ausrufen unserer Fragilität in einem. Die Sprache beginnt dabei zu oszillieren, einerseits wird sie ganz besonders innerlich, gesprochen von einem leidenden, traurigen, erschöpften Menschen, andererseits wirkt sie unvorhersehbar, wiederholbar, fremdbestimmt. Dazwischen steckt das, worum es Weigoni geht: die Entleerung des Gefühls in der Welt, das Ersterben des Menschen im Glamour, die Leere, von der wir uns nähren. In ihrer Fokussierung auf das Hören, mithin das Zuhören, spricht Jo Chang eine Art der sinnlichen Wahrnehmung wie der geistigen Verarbeitung an, die mehr und mehr ins Abseits zu geraten droht – insofern ist durch diese Kunst auch eine gesellschaftspolitische Aussage getan. »Unbehaust« ist ein Monodram, das nachwirkt.
Deutungsmöglichkeiten sind grundsätzlich vielseitig, so vielfältig man diese Gedichte interpretieren kann und intertextuellen Bezügen nachgeht, mit jedem Aspekt verdichten und vervielschichtigen sich diese Monodramen und Zyklen. Publikumsüberforderung ist im Zweifel besser als jedes Wohlfühlangebot. So vielschichtig diese Monodramen und Zyklen sind, am Schluß empfindet man ein Gefühl von zufriedener Erschöpfung.