„Der Mensch ist eine Kaulquappe bevor er geboren ist“, heißt es in „Schluckspecht. Dass Alkohol eines der gemeinsten und gefährlichsten Gifte ist, ist allseits bekannt, dennoch hat bisher noch keine Regierung der Welt irgendetwas dagegen unternommen. Während das Zigarettenrauchen immer teurer wird, feiert die eigentliche Volksseuche fröhlich Urständ‘. Dabei gibt es wohl kein „Genussmittel“, das so viel volkswirtschaftlichen Schaden anrichtet, wie der Alkohol. Peter Wawerzinek nimmt die Volksdroge Nr. 1 auf’s Korn und genehmigt sich dabei so manchen Korn, denn der Protagonist wächst bei seiner Tante Luci auf und wird schon früh an das Gift gewöhnt. „Eierlikör“ lautet hier sein harmloser Name, doch bald muss auch das kleine Pflegekind die Schärfe in der Süße schmecken. „Der Mensch träumt sich immer an Orte, die am Wasser liegen“, weiß Tante Luci, die zwar auch nicht weiß woher das kommt, aber daraus schließt, dass wenn er als Kaulquappe einen Schwanz gehabt habe, diesem sein Leben lang nachweint, als „Phantomschmerz“. Never mix your drinks
Kurze prägnante Hauptsätze. Wortspielereien. Das Wort beim Wort nehmen, die Dinge beim Namen nennen. So könnte man Wawerzineks eindringlichen Stil nennen, mit dem er das Aufwachsen des jungen Alkoholikers bei seiner Tante Luci beschreibt. Er zerstückelt Sprichwörter oder spielt mit Bedeutungen: „Man aß Kuchen und schmeckte den Moder in jeder einzelnen Rosine nach“. Eine Elegie auf die Liebe – frei nach Tante Luci – sowie auf die Freundschaft und das Fußballspiel, das doch eigentlich auch nur dazu nützt, wieder nüchtern zu werden, um noch mehr saufen zu können. „Ich hätte nie von Scotch auf Martini umsteigen sollen“, wusste schließlich schon Humphrey Bogart kurz vor seinem Tod und vielleicht hat ihn genau das auch diesen gekostet. Das Leben ist eben eine Illusion, hervorgerufen durch Alkoholmangel. Jede Jugend schäumt auf ihre Weise. Zungenschlag beim Lesen
Mit einem ungarischen Egészségdre Palinka von Tante Luci fing es an, dann das Schnüffeln am Rumtopf, dicht gefolgt vom Eierlikör, der selbstgebrauten „Schwarzen Johanna“, Pubertät, Bier, Wein, ein wildes Leben für die Kunst, Frauen, Feiern, Probleme, Abstürze, Weinbrand, Goldbrand, Schnaps. Man wird sich beim Lesen des vorliegenden Romans zwar keinen Zungenschlag holen, aber beim nächsten Mal trinken doch mehr darauf Acht geben, die verschiedenen Ingredienzien nicht allzu sehr zu mischen. Denn wie bei den AA gilt auch hier: einmal Alkoholiker, immer Alkoholiker.
Peter Wawerzinek
Schluckspecht. Roman
Verlag Galiani Berlin
460 Seiten
Gebunden mit Schutzumschlag
Euro 19,99 (D) | sFr 28,– | Euro 20,60 (A)
ISBN 978-3-86971-084-6
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2015-02-13)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.