Dem Zeitgenossen und Augenzeugen des Lebens Karls des Großen wird gerne Parteilichkeit vorgeworfen und auch wenn er „deren Wahrhaftigkeit bezeugen“ kann ist dies nicht wirklich eine Garantie für die Richtigkeit seiner Aussagen, mag er doch gerne auch etwas an der Heldenlegende mitgestrickt haben, um damit auch seine eigene Rolle bedeutender erscheinen zu lassen. Umso mehr lohnt sich diese Lektüre, die bei Reclam sogar als zweisprachige Ausgabe Deutsch-Latein herausgegeben wurde, wenn man sich für die Geschichte des „Vaters von Europa“ (Pater Europae) interessiert.
Sachsen, Sarazenen und Selige
„Es heißt Arbeitszeit verschwenden und Literatur geschmacklos missbrauchen, wenn man seine Gedanken niederschreibt, ohne die Fähigkeiten zu besitzen, sie zu ordnen und zu erklären oder die Leser durch einen angenehmen Stil zu erfreuen“, zitiert Einhard wohlgefällig Cicero um dann bei Karls Vater, Pippin, dem Hausmeier, mit der Geschichte zu beginnen. 732 hatte Karl die „Sarazenen, die Gallien erobern wollten“ in zwei großen Schlachten geschlagen und bei Poitiers in Aquitanien gezwungen umzukehren. Am Fluss Berra nicht weit von Narbonne schlug sie endgültig und erwies der Christenheit Europas damit einen Riesendienst, denn vielleicht wäre ohne Karl die Ausbreitung dieser Religion in Europa gar nicht möglich gewesen, weswegen er gerne auch vierhundert Jahre später „heilig“ gesprochen wurde. Kaiser Friedrich Barbarossa hatte darauf bestanden, wohl auch um sich selbst damit zu erhöhen.
Karls Eisenmänner
Aber auch den weniger ruhmreichen Kapiteln in Karls Leben nimmt sich Einhard an und beschreibt den Bruderzwist zwischen Karl und Karlmann, der das Riesenreich zuerst drei Jahre lang mitverwaltet hatte. Auch die Flucht der Witwe zum Langobardenkönig Desiderius wird ausführlich beschrieben und Karls Sieg als gerecht dargestellt, so wie auch der dreiunddreißig Jahre lange Krieg gegen die Sachsen, der wegen deren Wankelmut sich zum Christentum bekehren zu lassen unnötig in die Länge gezogen worden sei. Vielleicht entstand in jener Zeit auch die Taktik des Guerillakrieges, denn was Einhard über den Zug von Karls „Eisenmänner“ über die Pyrenäen erzählt, erinnert stark daran, was sich auch später in der Geschichte noch öfter wiederholen sollte: die Basken verwickelten das Heer Karls immer wieder in Scharmützel und Hinterhalte. Karl hatte das Reich seines Vaters zu seinen Lebzeiten verdoppelt, nach ihm zerfiel es in die Nationalstaaten, die man heute noch kennt: Deutschland, Frankreich und Italien.
Einhard
Vita Karoli Magni / Das Leben Karls des Großen
Lat./Dt. Übers., Anm. u. Nachw.: Firchow, Evelyn Scherabon. 96 S.
ISBN: 978-3-15-001996-2
[*] Diese Rezension schrieb: jürgen Weber (2016-11-12)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.