Mit ihrer ich-erzählenden Hauptfigur Esch Batiste kehrt die Schriftstellerin Jesmyn Ward in das Dorf ihrer Kindheit zurück, nach De Lisle, ein kleiner Ort nahe der Küste von Mississippi. Weil der Arbeitgeber ihrer Mutter ihr die Ausbildung bezahlte, konnte sie auf eine private Schule gehen, wo sie die einzige Schwarze unter lauter Weißen war. Rassistische Angriffe und Bemerkungen waren ihr Alltag. Sie hat lange den Ort gehasst.
Nun ist sie, schon lange woanders lebend, schreibend in diesen Ort zurückgekehrt und hat in der Schilderung des Lebens von Esch Batiste und ihrer in ärmlichen Verhältnissen lebenden Familie erfolgreich versucht, auch Liebenswertes in De Lisle zu sehen.
Mittlerweile ist Jesmyn Ward eine preisgekrönte Schriftstellerin. „Vor dem Sturm“, der in den letzten zehn Tagen spielt, bevor der Wirbelsturm Katrina mit verheerender Wucht auf die Küste trifft, ist mit dem National Book Award 2011 ausgezeichnet worden.
Protagonistin ist die 15 –jährige Esch, die, schwanger geworden, auch bei ihren Brüdern keine wirkliche Hilfe findet. Der Vater versucht, obwohl alkoholkrank, seine Familie irgendwie am Leben zu erhalten und alle miteinander vermissen die Mutter, die bei der Geburt des letzten Kindes gestorben ist.
Im Verlauf des ganzen Buches ist von keinem einzigen Weißen die Rede. Rassismus wird nicht explizit thematisiert, doch er ist in der Beschreibung der Lebenswelten der Schwarzen, ihrer Abschottung und ihres Lebensalltags ohne jegliche Perspektive immer implizit vorhanden.
Jesmyn Ward hat Katrina selbst erlebt, das spürt man ihren Schilderungen auf jeder Seite ab. Die Jugendlichen um Esch unterschätzen lange den Sturm, erst spät beginnen sie zu handeln und überleben knapp.
Ward beschreibt ihre Figuren, Esch und ihre Brüder Randall, Skeetah und selbst den kleinen Junior als Menschen, die kämpfen um Anerkennung und Liebe und um eine Zukunft, vor allem aber immer wieder um ihre Würde. Sie haben als Familie keine andere Wahl als sich gegenseitig zu helfen und Opfer füreinander zu bringen.
Im griechischen Racheengel Medea findet Esch so etwas wie Trost und Verbündung. Nach dem Sturm wird sie sagen; „Sie hinterließ uns einen dunklen Golf und salzverbranntes Land. Sie ließ uns zurück, damit wir kriechen lernen. Sie ließ uns zurück, damit wir uns retten. Katrina ist die Mutter, an die wir uns erinnern werden, bis die nächste blutrünstige Mutter mit großen, erbarmungslosen Händen kommt.“
Mit ihrer an Metaphern reichen und oft lyrischen Sprache setzt Jesmyn Ward dem Unglück Zuversicht und Hoffnung entgegen. Immer wieder findet sie für ihre Figuren etwas Schönes, Bestaunenswertes, Wertvolles, was sie die Welt und ihr Leben trotz allem lieben lässt. Bis zum Ende …
Jesmyn Ward, Vor dem Sturm, Kunstmann 2013, ISBN 978-388897-881-4
[*] Diese Rezension schrieb: Winfried Stanzick (2013-09-19)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.