Die Geschichte des Blues war schon immer spannend. Vor allem, dass sie, analog zu der des Sklavenhandels, niedergeschrieben wurde vom weißen Manne. So, wie in späteren Phasen des schlechten Gewissens aus dem weltweiten Sklavenhandel eine exklusive Angelegenheit des weißen Mannes gemacht worden war, ohne die florierende Branche der inner-kontinentalen afrikanischen Sklavenfänger auch nur mit einem Nebensatz zu erwähnen, genauso wurde der Blues das Volksgut der Nachfahren der als Sklaven ins Mississippi-Delta Importierten. Afrikanisch inspirierte Lieder der Opfer, die dann irgendwann den Old Man River hinauf bis nach Chicago zogen und dann den Electric Blues erfanden.
Das Buch von Elijah Wald, einem Briten aus Cambridge, einem Synonym für einen White Anglo-Saxon Protestant, sprich WASP, wie es klischeehafter nicht sein könnte, räumt mit der ganzen Herrschaftsromantik radikal auf. Wald entlarvt die bisherige Geschichte des Blues als ein Machwerk weißer Romantiker, die es nie zugelassen haben, dass sie es mit den Blues-Musikern mit äußerst lebenslustigen, selbstbewussten und sehr zielstrebigen Unterhaltern zu tun hatten, die nur eines wollten: Raus aus dem Dreck.
Vom Mississippi zum Mainstream ist von seiner Argumentation in drei Teile gegliedert:
Die tatsächliche Geschichte vieler Blues-Musiker, denen gemeinsam war, dass sie auch bestimmte Blues-Titel ihrem Repertoire hatten, ansonsten aber auch vieles andere und vor allem die Hits, die die Leute, vor denen sie spielten, hören wollten. Wald, der gehörig in historischem Material recherchiert hat, weist überzeugend nach, dass vor allem die Blues-Labels diese Unterhaltungskünstler immer nur Blues-Titel auf Platten aufnehmen ließen und nicht das, was sie auch sonst noch konnten.
Die Legendenbildung um Robert Johnson. Der Mann, der tatsächlich aus dem Delta kam, nur 28 Jahre alt wurde, dann mal von einem eifersüchtigen Ehemann erschossen und mal vergiftet wurde, und so viele Hits herausbrachte wie Lebensjahre, war zu seiner Zeit gar nicht so bekannt und geachtet. Er wurde erst durch die Nachwelt zu der Blues-Ikone schlechthin.
Das Werk Robert Johnsons als solches ist grandios, weil er dieser zweifelsfrei virtuose Gitarrist und markante Sänger Mehreres miteinander verband: Sein vom Blues beeinflusster Slide-Stil, seine Textimprovisationen und seine stilistischen Zitate aus anderen Musikrichtungen bis hin zu Swing. Das war die Gärung, aus der später auch Rock´n Roll und Pop erwuchsen und die Robert Johnson zu einem irrwitzigen Modernisierer machten und nicht zu einem Lordsiegelbewahrer des Delta-Blues.
Elijah Wald hat mit diesem Buch die weiße Historiographie des Blues mächtig erschüttert. Manchmal ist es etwas sehr detailliert und etwas langatmig, weil der Autor glaubt, seine Thesen immer wieder durch Beispiele unterlegen zu müssen. Für Menschen, die sich mit dem sozialen Charakter von Musik befassen, ist das Buch ein Muss. Theodor Wiesengrund Adornos böses Wort im Ohr, dass sich mit Jazz und Blues der Schwarze an seiner eigenen Unzulänglichkeit delektiere, fußt schlichtweg auf eine historiographischen Fälschung. Nach Elijah Walds Buch muss es heißen: in der klassischen weißen Geschichtsschreibung delektiert sich der weiße Mann am Elend derer im Delta.
[*] Diese Rezension schrieb: Gerhard Mersmann (2012-07-29)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.