„Anfang der sechziger Jahre starben die Hüte über Nacht aus“, schreibt die langjährige Harper`s Bazaar Kolumnistin in ihrer Autobiographie. Als sie 1962 zur amerikanischen Vogue wechselte trugen die Männer plötzlich keine Hüte mehr und was sie damit ausdrücken möchte, ist, dass auch die Eleganz und die Gentlemen in diesem Jahrzehnt von der Bildfläche verschwanden. Die Tochter aus gutem Hause, deren Stammbaum bis zum Verfasser des Textes von Star Spangled Banner, Francis Scott Key, zurückreicht, legt eine ebenso beredte wie „allüren“-freie Beicht ab und nicht umsonst buchstabiert sie ihren Namen auch mit „V“ wie „Victory“. In ihrem Aufsehen erregenden Leben klebte sie in einem New Yorker Nobelrestaurant nicht nur Jack Nicholson ein Rheumapflaster auf seinen Allerwertesten, sondern zählte auch Andy Warhol, Condé Nast, Luchino Visconti, Josephine Baker oder Yves Saint Laurent zu ihren Freunden. An Geld mangelte es ihr nie, sehr wohl aber an Fantasie: „So etwas kann man nicht erfinden, denn wie jedermann weiß, ist die Wahrheit viel fantastischer als alles, was die Fantasie ersinnen kann.“
Europa, das Europa des Fin de Siècle, war für sie eine „Melange von Völkern, Ethnien, Chemie…“ und mit dem Tanzen lernte sie bald auch das Träumen. Deswegen seien auch die 20er und 60er Jahre die besten Jahrzehnte ihres Lebens gewesen, denn in diesen wusste man noch zu tanzen und die Musik war das Wichtigste überhaupt, nicht das Geldverdienen, sondern das Geldausgeben. Und das tat sie mit vollen Händen, ob in Paris oder in Bordellen, in England, Japan oder Amerika. Diana Vreeland schlägt Kapriolen wie ein Pfau seine Räder und kennt Leute, die weiße Pfauen im Garten als Haustiere halten und dann dennoch an Syphilis sterben müssen. Oder ihr Kinobesuch in Montmartre, bei dem sie zufällig neben Josephine Baker sitzt, die natürlich ihren Geparden zur Vorführung von „L`Atlantide“ mitgebracht hatte: „Und dann – dann gingen die Lichter an, ich spürte eine kleine Bewegung unter meiner Hand. Ich schaute nach unten – es war ein Gepard! Und neben dem Geparden saß Josephine Baker!“
Besonders ehrenvoll sind die Worte, die Diana Vreeland für andere Frauen ihrer Zeit findet, wie die, für die oben angesprochene Baker: „Es war Geschwindigkeit in all ihrer Schönheit. Stilvoll. Stil bedeutete damals so gut wie alles.“ Weniger „stilvoll“ sind dann allerdings ihre Bemerkungen über den Westen. Dieser wird untergehen, verschwinden. Er langweile sich zu Tode und er rede sich zu Tode. Die Zukunft gehöre eindeutig Afrika. Oder den Russen, denn Puschkins Großmutter sei ja auch eine Schwarze gewesen, deswegen sein Buch „Der Mohr des Zaren“. Die Mohren seien so schick und sie wüssten ohnehin selbst, dass es keine schöneren Menschen gebe als sie. Als dann die „Martini-Ära“ vorbei gewesen wäre und alle mit einem Kater aufwachten – trotz oder gerade wegen der Prohibition – blieben die besten Männer sogar liegen, schreibt Vreeland. „Damals waren die Männer so anziehend. Ganz, ganz viele starben am Alkohol. Ihr Leben währte nicht lange.“
Diana Vreeland war auch zugegen, als sich die „Nacht der langen Messer“ zutrug, die von Luchino Visconti in „Die Verdammten“ so kongenial verfilmt worden wäre. Sie wohnte im selben Hotel als es geschah, am nächsten Morgen lagen 14 Leichen einen Stock höher und sie hatte nur ein Rumpeln gehört. Vielleicht hatte sie zu laut ihre „exquisite deutsche Musik“ (sic!), die sie zur „schönsten Musik der ganze Welt“ zählt, gehört? Noch eine Erfindung stammt übrigens von ihr: Kostüme für Frauen mit großen Taschen. Nichts schränke den eleganten Gang von Frauen so sehr ein wie eine Handtasche! Wie recht sie doch damit hatte! Doch leider war die Redaktion gar nicht begeistert von ihrer Idee: wir verkaufen Taschen, wir verdienen mit Handtaschenwerbung einen Großteil unserer Auflage, warum also Kostüme mit großen Taschen? Dann lieber schon Frauen mit einem schrecklich Gang, als diese Einnahmen zu verlieren, oder?
Diana Vreeland
Allure – Der Roman meines Lebens
Schirmer/Mosel
SchirmerMosel Literatur. Aus dem Amerikanischen von Ursula Wulfekamp. Titel der Originalausgabe: "D. V. by Diana Vreeland", Umschlagmotiv: Diana Vreeland, photographiert von Horst P. Horst, New York, 1979. Gebunden mit Schutzumschlag und Lesebändchen, 368 Seiten, 15 Abb. in Duotone
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2011-10-30)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.