Reclam hat in Zusammenarbeit mit Arthouse eine neue Filmedition ins Leben gerufen, die sich – wie könnte es bei zwei so kompetenten Partnern anders sein – den Literaturverfilm-ungen widmet. Die vorläufig auf 20 Filme beschränkte Auswahl grast zwar relativ beliebig durch die Jahrzehnte des provenient europäischen Filmschaffens, scheut aber auch nicht vor älteren und neueren Klassikern zwischen den Jahren 1949 und 2000. Ein Film aus dem Jahre 1994 rief bei Kritikern zwar nicht unbedingt Zustimmung hervor, dennoch gilt er auch heute noch als bildgewaltige Inszenierung einer Literaturvorlage, die es einem Regisseur alles andere als einfach machte, sie in Bilder umzusetzen. Joseph Vilsmaier gelang eine Adaptation, die man gesehen haben muss.
Liebe und Gewalt
„Wer liebt, der schläft nicht“, heißt einer der verhängnisvollen Sätze, die in dieser Literaturverfilmung zum traurigen Ende des Protagonisten führen. Am Ende des 18. Jahrhunderts in einem abegeschiedenen Alpendorf wird Johannes Elias Alder (André Eisermann) geboren, der schon bei seiner Geburt zum Reden gezwungen werden muss. Erst als die Amme das Te Deum singt, fängt Elias an zu schreien und zeigt so, dass er am Leben ist. Seine Mutter atmet auf, denn sie weiß noch nicht, dass dieser Sohn ihr noch viele Probleme machen wird, weil er ganz anders als die anderen zwar wenig spricht, dafür aber das absolute Gehör hat. Das führt schon in der Schule zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit dem Dorflehrer Oskar, grandios verzweifelt gespielt von enfant terrible Paulus Manker. Die Zucht und Ordnung, die damals noch herrschte, zog sich aber nicht nur durch die öffentlichen Institutionen, sondern bis hin in die Familien und zwischenmenschlichen Beziehungen. So ist denn auch die Liebe zwischen Elsbeth (gespielt von Vilsmaiers Frau Dana Vavrova) und Elias zum Scheitern verurteilt, weil die Umstände es nicht anders zulassen.
Genie und Wahnsinn
„Wer schläft, der sündigt nicht“, hieß es einst und damals war es verpönt zu lieben und zu begehren und jeder der aus der Reihe fiel wurde bestraft. Vilsmaier zeigt in teilweise sehr beklemmenden Bildern wie eng so eine Dorfgemeinschaft sein kann und vor allem, dass es die anderen Menschen sind, die einem das Leben zur Hölle machen. Eine oktroyierte Moral, die Unterordnung verlangt und alles unterdrückt, was anders ist, macht das Leben für Freigeister wie Elias und Peter (Ben Becker), dem Bruder Elsbeths, unmöglich. Dass Peter seine eigene Schwester im Haus einsperrt und dann das ganze Haus anzündet mag zwar schrecklich sein, angesichts der gesellschaftlichen Zustände aber auch nicht weiter verwunderlich. Die inzestuöse Dorfgemeinde, allesamt dickköpfig und engstirnig, verachten ein Talent wie Elias und zeigen mit ihren Fingern auf den Außenseiter, dabei machte gerade er ihr Dorf berühmt. Joseph Vilsmaiers bewegendes Drama wurde mit dem Bayerischen Filmpreis und dem Deutschen Filmpreis ausgezeichnet sowie für den Golden-Globe für den besten nichtenglischsprachigen Film 1996 nominiert.
Joseph Vilsmaier
Schlafes Bruder
Nach dem Roman von Robert Schneider
DVD, Deutschland, 1995, Drama, ca. 127 min.
Mit André Eisermann, Dana Vávrová, Ben Becker, Jochen Nickel
ISBN: 978-3-15-041015-8
EUR (D): 9,99
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2014-10-15)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.