Liebende sind Kranke. Das zumindest könnte man glauben, wenn man Opern lauscht in denen nicht selten die Liebe selbst eine tragische Rolle spielt. Oft wird sich hier geopfert, um am Ende – zumeist auf dem Totenbett - doch gestehen zu müssen, dass sie, die Liebe, das einzige Lebenswerte ist, das Sinn spendet. So geschieht es auch in „La Traviata“ (sinngemäß: die vom Weg Abgekommene). Violetta Valéry (Angela Gheorghiu), eine Kurtisane, kehrt nach einer Tuberkuloseerkrankung wieder an ihre Arbeit zurück, doch dieses Mal ist es anders, denn sie verliebt sich in Alfred (Ramon Vargas), einen etwas naiven, aber reichen Neuankömmling aus der Provinz. Gemeinsam flüchten sie von Paris aufs Land, um sich ganz ihrer Liebe hinzugeben. Doch Alfreds Vater, Germont (Roberto Frontali), bittet Violetta auf ihre Liebe zu seinem jungen Sohn zu verzichten, und so ihnen beiden ein unglückliches Leben zu ersparen. Violetta fügt sich aus Liebe zu Alfred einsichtig dem Wunsch des Vaters, da sie weiß, dass die Fortsetzung ihrer Liebe sie beide ins Unglück stürzen würde und kehrt niedergeschlagen zurück zu ihrem Kurtisanenleben. In Alexandre Dumas` „Kameliendame“, das Verdi als Vorlage für seine Oper verwendete, wird das Ende der Liebe etwas anders ausgedrückt: „Liebe Marguerite (aka Violetta, JW), ich bin nicht reich genug, um Sie so zu lieben, wie ich es gerne tun würde, bin aber auch nicht arm genug, mich so lieben zu lassen, wie Sie es sich vorstellen.“ Die Opernversion ist da bedeutend romantischer, denn Violetta erkrankt bald wieder an ihrer Tuberkulose – wohl aus Liebeskummer – und erst an ihrem Totenbett muss Alfredo erkennen, dass sie ihn - allen Verleumdungen zum Trotz - wirklich und wahrhaftig geliebt hat. Eine Liebe, die aufgrund gesellschaftlicher Konventionen zum Scheitern verurteilt ist, wird die tödliche Krankheit zur wohlgefälligen Lösung. Violetta stirbt an ihrer Tuberkulose. Alfred kann wieder zu den Seinigen und seiner Klasse zurückkehren.
Im ersten Akt, einer von dem Teatro alla Scala grandios und opulent inszenierten Gesellschaftsfeier, singt die von ihrer Krankheit scheinbar genesene Violetta im Chor mit den anderen die wohl berühmtesten Zeilen aus „La Traviata“: „Tra voi tra voi saprò dividere/il tempo mio giocondo;/Tutto è follia nel mondo/Ciò che non è piacer./Godiam, fugace e rapido/e'il gaudio dell’amore,/e'un fior che nasce e muore,/ne più si può goder./Godiam c'invita un fervido/accento lusighier./Godiam, la tazza e il cantico/la notte abbella e il riso;/in questo paradise/ne sopra il nuovo dì.(…)“ Sinngemäß bedeutet es, die Gläser zum Wohle zu erheben, da das Leben und die Freuden der Liebe ohnehin kurz genug sind. Ein musikalisches „Carpe diem“ sozusagen, das in seiner Schönheit und Brillanz lange Zeit als unübertroffen galt und auch heute noch über genügend Pathos verfügt, die Herzen höher schlagen zu lassen. Dieses „Godiam“ empfiehlt sich also durchaus auch als Auftakt für viele andere festliche Anlässe, die sich sicherlich auch heute noch leicht finden lassen. Der zweite Akt wiederum zeichnet sich vor allem durch das Duett Vater/Sohn („ Di Provenza il Mar, il suol/chi al cor ti cancellò?/ Al natio fulgente sol, Qual destino ti furò?“) einerseits und Violetta mit Alfredos Vater andererseits aus. Die von Angela Gheorghiu gespielte Verzweiflung und ihre Einsicht in das eigene Drama ist so überzeugend, dass man sich beinahe selbst ihrem Konflikt ausgesetzt fühlt. Ein Auftritt der „Zingarelle“ (Zigeunerinnen) und der Matadoren ist sicherlich ein weiterer Höhepunkt dieses etwas folkloristisch anmutenden zweiten Aktes. Im dritten Akt finden die beiden Liebenden dann wieder zueinander und versprechen sich, sich nie mehr zu trennen, jedoch haben sie die Rechnung ohne den Sensenmann gemacht, denn der schlägt unweigerlich und erbarmungslos zu. „Cessarono gli spasimi del dolore!/In me rinasce,/M`agita insolito vigor!Ah! ma io ritorno a viver! Oh gioia!” singt Violetta und stirbt in den Armen ihres Geliebten Alfredo.
Die Inszenierung an der Mailänder Scala ist nicht nur durch die Balletteinladungen der Zigeunerinnen und Matadoren wahrlich bestechend. Opulente Bühnenbilder, die das intime Innere von Palästen zeigen werden von Massenszenen wie jene mit den Matadoren ergänzt und lassen ein bewegendes Spektakel um „Liebe und Tod“, so der ursprüngliche Originaltitel von der Opernversion der Kameliendame, entstehen. Die Scala, die gemeinhin als die Oper schlechthin gilt, wurde in der Zeit Maria Theresias gebaut, wohl auch um die politisch erhitzten Gemüter etwas zu beruhigen. In nur 23 Monaten Bauzeit entstand das „Nuovo Regio Ducale Teatro di Milano“ nachdem das eigentliche Theater Mailands, das Teatro del Corte, im Karneval abgebrannt war. Das vom Gouverneur Firmian als „opportun“ empfohlene und eigentlich als „Übergangstheater“ errichtete neue Teatro Ducale wurde im August 1778 eingeweiht und es fanden über 2000 Personen darin Platz. Die bald darauf als „Scala“ bezeichnete Oper sollte nach einer schwierigen Anfangszeit (Napoleonische Kriege) zum wohl berühmtesten Ort für Opernaufführungen avancieren. Zum Repertoire gehörten neben Mozart bald auch Rossini, Donizetti und Vicenzo Bellini, ganz abgesehen natürlich von der Ära Verdi. Den Subventionen durch die Österreicher zum Trotz wird die Scala im 19. Jahrhundert aber auch zum Hauptquartier des „Risorgimento“, der italienischen Unabhängigkeitsbewegung. Hier entstand auch der Ruf „VERDI!“ (Vittorio Emmanuele, Re d`Italia) und bei der Aufführung der Norma, 1860, als der Chor „Guerra, guerra“ angestimmt wird, stimmen die Italiener aus dem Auditorium in den Chor ein: „Krieg, Krieg!“ Die Scala wird bald darauf endlich ganz italienisch und feiert seither pausenlos Triumphe, auch wenn sie im 20. Jahrhundert durch den Krieg schwer beschädigt wurde, kann man sich ein Mailand ohne die Scala gar nicht mehr vorstellen. 1955 war es übrigens die Callas, die in dem wiederaufgebauten Teatro alla Scalea in Luchino Viscontis Version der Traviata die Violetta interpretierte.
Die „Sternstunden der Oper“ sind sowohl einzeln als auch als 10-teilige DVD-Edition bei Arthaus Musik erhältlich. Jede einzelne Ausgabe ist in hochwertiger Buchform mit Booklet gestaltet. Weitere Opern aus dieser Reihe versammeln so illustre Stars wie Placido Domingo, Cecilia Bartoldi, Jonas Kaufmann und Elina Garanca in den schönsten Opernhäusern der Welt zu den Melodien von „Carmen“, „Fledermaus“, „Zauberflöte“ u. a.
Sternstunden der Oper
Giuseppe Verdi
„La Traviata“
Chor, Orchester und Ballett des Teatro alla Scala di Milano
Dirigent Lorin Maazel
Regie Liliana Cavani
mit Angela Gheorghiu und Ramon Vargas in den Hauptrollen
2010
Arthaus Musik
Bestell.Nr.: 503042
DVD mit Untertiteln
134 Minuten
14-seitiges Booklet
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2010-02-16)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.