Das Grand Hotel. Seit jeher der Inbegriff der großen weiten Welt, des Luxus, der Kultur und des polyglotten Kosmopolitismus. Die prachtvollen Paläste der Belle Époque und die eleganten Bauten des Art déco setzten Maßstäbe, deren moderne Epigonen doch nur wie ein Abklatsch erschienen, denn im 19. Jahrhundert in dem die meisten Grand Hotels entstanden, wusste man noch mit Stil zu prassen, denn wie sagte schon der französische Schriftsteller Philippe Djian: Stil zu haben heißt, aufzuhören, bevor’s zu viel wird. Die Grand Hotels prägten einen Stil, der bis heute Architektur und Inneneinrichtung eines Hotelprojekts zu entscheidender Bedeutung werden lassen. Auch Ketten wie Hyatt und Hilton waren Auslöser dieses Kulturphänomens, das den Bautypus zu einem einzigartigen Medium für integriertes Design entwickelte. Und das sogar weltweit.
“Society at large“
Die neueren Begriffe wie „Boutique Hotel“ oder „Lifestyle Hotel“ stehen für einen jüngeren Gestaltungstrend, der den Gast vor allem gefühlsmäßig ansprechen will und versuchen im Kleinen, was einst die ganz Großen vormachten: den Charme der großen weiten Welt zu versprühen, Eleganz und Luxus auch in die trübsten und entlegensten Nachbarschaften zu tragen. „Terms like „boutique“ or „lifestyle“ have become ubiquitous buzzwords in the vocabulary of the hotel, and they engender a new vision of an affective and responsive spatial environment“, schreibt Bruce Grenville im Vorwort. „The public spaces of hotels, more than any others, reflect society at large.“ Oft können Hotels auch Trends antizipieren und Entwicklungen vorwegnehmen oder den Zustand der Gesellschaft einfach nur reflektieren, wenn man etwa an die Zigarrenzimmer für ältere Herren denkt und damit der Segregation zwischen Männer- und Frauenwelt gedenkt, die ja tatsächlich in der Gesellschaft des 19. Jahrhunderts immer noch existierte.
“Testing Ground“
Hotels würden auch heute noch einen Status als „testing ground for social change“ repräsentieren, wie man an zahlreichen „grünen“ Hotels (mit niedrigem Energieverbrauch etwa) beobachten kann. Moderne Hotels würden einen Raum zur Verfügung stellen, in dem „conventions of gender, race and class can be willfully tested, reconfigured or abandoned, seemingly without penalty“. Das nachgeschobene „scheinbar ohne Strafe“ lässt einen an den vermeintlichen Trickbetrüger Jimmy im Musical „New York, New York“ denken, der von Roberto de Niro authentisch dargestellt wird. Denn Hotels waren immer auch Orte für Künstler, etwa Jazzmusiker wie Jimmy, die versuchten zu überleben. Nicht zuletzt sei auch an das Chelsea Hotel oder das Chateau Marmont, das Imperial und Beat Hotel, erinnert, die auch Orte waren, wo Künstler Unterschlupf fanden und „Kunst geschah“.
Zuflucht für Künstler
Hotels seien also auch „a fertile environment for the production of outstanding art, literature, music, film and poetry“, schreibt Bruce Grenville. Als Beispiel dieser „fruchtbaren Umgebung“ wird auch ein Auszug aus Patti Smith’s „Just Kids“ wiedergegeben, die lange Zeit mit dem später verstorbenen Robert Mapplethorpe im Chelsea Hotel lebte, wobei ich letzteres nicht unbedingt als „Grand Hotel“ bezeichnen würde. Aber was die Vielfalt dieses Begriffes betrifft, zeigt die vorliegende Publikation in prächtigen farbigen Bildern die ganze Palette und man kann voller Sehnsucht sein Fernweh abstreifen, denn wie schon Freud wusste, bleibt man am besten zu Hause, wenn man dieses pflegen möchte. Zu Hause mit einem guten Buch, oder einem gar so glänzenden und schimmernden wie das vorliegende, „Grand Hotel“.
Grand Hotel. Redesigning Modern Life
Hrsg. Vancouver Art Gallery, Texte von William F. Baker, Todd Gannon, Bruce Grenville, Brad A. Johnson, Norman Klein, Thomas Y. Levin, Karina Longworth, Cédric Morisset, Rebecca Morse, Suzanne Oxenaar, Stephanie Rebick, Leonard Sanders, Michael Turner, Jennifer M. Volland, Matthew Weiner u.a., Gestaltung von Derek Barnett
Englisch, 2013. 336 Seiten, 452 farbige Abb.
22,80 x 27,70 cm, gebunden,
ISBN 978-3-7757-3483-7
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2013-06-04)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.