„Leben heißt kämpfen, aber sterben heißt siegen“, soll der Jugendbuchautor Karl May einmal an einer Stelle geschrieben haben und vielleicht ist es dieser Satz, der dem 36-jährige Protagonisten dieses Erstlingsromans dann zum Verhängnis wird. Denn Heinz ist bekennender Karl May Fan und hat beinahe alles von ihm gelesen. Bald kann Heinz endlich seinen Traumberuf ausüben, obwohl seine Eltern ihm schon vor dem Studium Versicherten, dass „der Lehrerberuf nichts für ihn sei, weil man nicht von gestern sein dürfe“. Aber gegenüber seinen Eltern und Geschwistern empfindet der Protagonist ohnehin nur wenig, denn seine einzigen Bezugs“personen“ sind die minderjährige Jenny, die ihn als Vaterersatz betrachtet, und sein Hund Franz, dem seine ganze Aufmerksamkeit und Liebe gilt. Denn selbst als dieser an Leukämie erkrankt, kann er sich nicht von ihm trennen und vielleicht ist es gerade auch dieser Verlust, der ihn dann dazu veranlasst, auch gegenüber seiner Schulklasse zum Äußersten zu gehen. Denn nicht nur die Halbwüchsigen der 9a – allen voran Axel und Olaf – machen dem Junglehrer das Leben schwer, sondern auch die Kollegin „Hexe“ Huber und der Direktor höchstpersönlich, der ihn in seinen Stunden beaufsichtigt und ihm danach sieben schwer zu beantwortende Fragen stellt.
Lehrer vom andern Stern
Der fettleibige Deutschlehrer Heinz, dessen bevorzugte Lektüre Karl May Romane sind, findet auch bei den anderen Kollegen nur sehr schwer Anschluss, einzig ein gewisser Sker kümmert sich um den Neuling an der Schule und schenkt ihm sogar ein selbstgeschnitztes Schachspiel, das die Schüler der 9a nicht gerade mit Sanftmut behandeln. Bei einem anderen/den anderen konkurrierenden Kollegen macht er sich zudem unbeliebt als er „infinite jest“ von David Foster Wallace nicht nur tatsächlich liest (der Roman hat mehr als 1500 Seiten), sondern nach den (kurzen) Weihnachtsferien auch noch eine brillante Analyse des Lesestoffes abliefert, was alle Anwesenden im Lehrerkollegium in Erstaunen versetzt. Auf Klassenfahrt wird er dann noch von seiner 9a in den Keller gesperrt und so bleibt Heinz bald nichts mehr als die Flucht in die Tabletten- und Alkoholsucht, denn er findet nirgends sonst noch eine richtige Ansprache oder Zuspruch. Jenny hat ihn wegen ihrer großen Liebe ohnehin längst verlassen und auch sonst findet der eigenbrötlerische Antiheld nur selten Anschluss. Er wirkt wie ein Bär in einem Affenkostüm, denn nicht nur seine Schüler scheinen sich auf seine Kosten über ihn und die Schule zu amüsieren und gehen während der Deutschstunde einfach zum Eisdealer, statt seine Arbeitsblätter auszufüllen. Heinz ist unfähig zum kommunikativen Austausch, eben ein Mensch „nicht von dieser Welt“. Trotz seiner offensichtlichen Belesenheit ist seine Sprache so einfach wie seine Romanhelden und die Lösung seiner Probleme so banal wie in einem Western. Die psychologische Fallstudie eines eigenbrötlerischen, autistischen Lehrers könnte dennoch aufhorchen lassen, sollten sich demnächst nicht mehr die Schüler, sondern die Lehrer bewaffnen, denn Heinz borgt sich von seinem Vater den Revolver aus. Eine Kugel ist für ihn reserviert. Die anderen? Heinz tötet, was er liebt, um es vor größeren Schmerzen zu bewahren. Erst seinen Hund, dann...
„Nicht von dieser Welt“ ist Arne Ulbrichts erster Roman, wenn auch nicht sein erstes Buch, denn er hat sich schon in wissenschaftlicher oder zumindest publizistischer Hinsicht mit dem „schönsten Beruf der Welt“ auseinandergesetzt, u.a. in „Lehrer: Traumberuf oder Horrorjob?“ (2013) und „Schule ohne Lehrer“ (2015) oder „Lehrer, ein unverschämt attraktiver Beruf“ (2015) und auch in „Lesen ist cool!“ (2016).
Arne Ulbricht
Nicht von dieser Welt
Roman
KLAK Verlag
286 Seiten
[*] Diese Rezension schrieb: jürgen Weber (2016-07-07)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.