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Szczepan Twardoch - Demut. Roman.
Buchinformation

"Nicht einmal Alois Pokora bin ich, ich bin eine Brennnessel, aus fruchtbarem Boden herausgerissen, um nützlichen Pflanzen Platz zu machen. Ich gehöre nirgendwohin.", schreit eben dieser Alois Pokora seinem alten Schulkameraden Sido von Kattowitz entgegen. In einer Welt der Auflösung in Schlesien zwischen den Kriegen wollen alle Alois Pokora vereinnahmen. Aber er wehrt sich. Mit Erfolg?

In der Liebe wie im Krieg

Das Jahr 1918 bringt so einige Veränderungen für das Leben des erst 27-jährigen Alois Pokora. Aber nicht nur für ihn. Gerade noch im Weltkrieg in Flandern für das deutsche Reich gedient, erwacht Lojzik, wie ihn seine Familie auf Wasserpolnisch nennt, inmitten des Spartakusaufstandes in Berlin - im Krankenhaus. Bethanien am Mariannenplatz in Kreuzberg ist eine Adresse die heute jeder kennt, denn auch 100 Jahre später ist die Nachbarschaft dort tiefrot, so rot, wie das Blut, das damals beim Spartakusaufstand vergossen wurde. Alois Pokora schließt sich den Aufständischen an, lernt Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht sogar persönlich kennen, gerät dann aber doch zwischen alle Fronten. Ein Erschießungskommando drückt ihm nach den Weihnachtskämpfen von Marstall schon eine Pistole an die Schläfe, bis sich herausstellt, dass er von einem alten Schulkameraden doch noch in letzter Minute gerettet werden kann. Aber jetzt muss auch Lojzik wieder die Fronten wechseln, denn es geht ums Überleben. Da er sein Leben ohnehin seiner Liebe zu einer verheirateten Frau, Agnes, gewidmet hat und er sie wenigstens noch ein letztes Mal sehen will, beschließt er mitzumachen. Aber die erste Gelegenheit die sich ihm bietet nützt er, um zu Tatulek und Mamulka (Vater und Mutter) nach Schlesien zurückzukehren. Die submissive Liebe die er für Agnes empfindet, empfindet jemand anderer auch für ihn und so erwartet den Leser alsbald ein Plot Twist nach dem anderen der schließlich in ein einer grandiosen Pointe gipfelt, die hier natürlich nicht verraten wird.

Demut und Würde

"In Berlin, gar nicht lange her, wollte ich noch leben, wollte kämpfen, siegen, wollte die Welt verändern und war sogar bereit für die Sich zu sterben. Damals lebte ich zum ersten Mal für etwas, mein Leben hatten einen Sinn, all das ist spurlos verschwunden." Szczepan Twardoch hat wieder einen Roman geschrieben, in dem es um das Ich und seine Identität geht. Dieses Mal siedelt er seine Geschichte zwanzig Jahre früher an, zu Beginn der Zwischenkriegszeit, einer zeitgeschichtlichen Epoche in der alles möglich schien. Selbst eine Revolution in Preußen, selbst eine Revolution in Wien, ja, sogar die Weltrevolution. Aber dann wurde doch ein weiterer Krieg daraus, der Zweite Weltkrieg, der den Ersten in seinen Grausamkeiten sogar noch weitaus übertraf. In einem kniffligen Vexierspiel erzählt Twardoch die frühe Kindheit des jungen Schlesiers, der sich in seiner armen Großfamilie nur schwer zurechtfindet, aber dann ausgewählt wird, studieren zu dürfen. Seine Sonderstellung unter den anderen Kindern erfährt ebenso eine pointenreiche Auflösung wie seine Liebe zu Agnes und Twardoch zeigt, wie in einer chaotischen Welt doch alles auch miteinander verbunden ist. Wenn die Macht der Liebe von der Liebe zur Macht abgelöst wird, werden alle zu Opfern, selbst die Mächtigen. Unsere Vergangenheit holt eines schönen Tages jeden von uns ein. Man muss den Tag nur erleben. Szczepan Twardoch hat einen Familienroman geschrieben, aber auch die Biographie eines Menschen des 20. Jahrhunderts: hybride Ich-Identität, Widersprüche, undefinierbar und ortlos.


Szczepan Twardoch
Demut. Roman.
Übersetzt von: Olaf Kühl
2022, Hardcover, 464 Seiten
ISBN: 978-3-7371-0121-9
Rowohlt Berlin

[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2022-02-11)

Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.


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