Zum 100. Geburtstag des in Wien geborenen Schriftstellers, Journalisten und Fernsehmachers Georg Stefan Troller legt das Filmarchiv Austria
eine Box mit 6 DVDs und Booklet auf. Darin enthalten sind einige von Trollers besten Reportagen aus der Reihe "Personenbeschreibung", darunter über Muhammad Ali, Edith Piaf, Peter Handke, Josephine Baker, Charles Bukowski, Arlo Guthrie und Felix Mitterer. 26 Portra?ts von insgesamt mehr als 200 Porträts werden so das erste Mal wieder zugänglich gemacht. Zudem befindet sich auf der sechsten DVD ein Dokumentarfilm von Ruth Rieser mit dem Titel "Auslegung der Wirklichkeit - Georg Stefan Troller".
Auf der Rennbahn mit Bukowski
"Let's go to my place and get drunk". Der Gratulant feierte sein rundes Jubiläum übrigens in seiner Pariser Dachwohnung im Dezember 2021, wo ihn auch die Berliner taz für ein Interview und Glückwünsche besuchte. (https://taz.de/Georg-Stefan-Troller-ueber-sein-Leben/!5818753/) Troller musste mit 17 Jahren selbst vor den Nazis fliehen und kehrte nach einem Aufenthalt in die USA wieder nach Europa zurück, wo er vorerst als Hörfunkreporter und dann beim Fernsehen arbeitete. Besonders seine Porträts über Perso?nlichkeiten aus Kultur, Sport, Politik sorgten dabei für Aufsehen. Trollers sehr distanzierter und kritischer Stil stellt in den "Personenbeschreibungen" seine Themen akribisch recherchiert vor. Denn es sind keine einfachen Interviews, die Troller führte. Nein, er reiste zumeist an die Orte des Wirkens der zu beschreibenden Personen und zeigte sie bei ihrer Arbeit und in ihrem Freundeskreis, bevor er sie interviewte. So werden die Zuseher der vorliegenden DVDs zu Augenzeugen seines Besuches bei Russ Meyer, dem Softpornofilmproduzenten, der Frauen stets als das starke Geschlecht darstellte. Im Kreise seiner Pokerkumpels beim Whiskytrinken sehen wir Russ ebenso wie vor der Filmplakat-Galerie seines Stiegengangs in seinem Haus. Aber auch der Arbeitsstil und lockere Humor des Frauenliebhabers wird mit Handkamera und ganz nah porträtiert. So nahe war wohl seither niemand mehr dran an seinen Interviewpartnern, wie Troller. Selbst auf der Ranch bei Muhammad Ali wird Georg Stefan Troller empfangen und von der Persönlichkeit des GOAT (Greatest of All Time) gekidnappt. Auch wenn Ali schon 35 bei den Aufnahmen ist, hat er doch sein Charisma noch behalten. Nur Troller scheint unbeeindruckt. Auch mit Charles Bukowski führte Troller ein Interview in seinem Eigenheim, begleitete ihn auf die Rennbahn oder durch das Hurenviertel von Downtown L.A. Nach einer verlorenen Wette lädt Bukowski Troller zu sich nach Hause zum Trinken ein. "Let's go to my place and get drunk". Wer kann das schon von sich behaupten, diesen Satz von Bukowski himself gehört zu haben? Vor seiner Schreibmaschine lässt er sich aber auch von Troller nicht filmen. Das fände sogar Bukowski (!) zu "obszön"...
Porträts von Celebrities
Aber auch mit Peter Handke (zu ihm gibt es sogar zwei Beiträge in dieser Box) bleibt Troller stets in kritischer Distanz. Obwohl er die Sechs-Zimmer-Wohnung im Pariser Vorort Auteuil abfilmen darf und sogar Handkes kleine Tochter kennenlernen darf, bleibt Trollers Ton stets auf dieser etwas spöttischen Frequenz. Selbst dann, als Handke persönlich wird. Er fährt mit ihm nach La Defense, wo Handke die Echtheit dieser Architektur gegenüber den Schönheiten des Quartier Latin hervorhebt. Die klaren Linien der hiesigen Wolkenkratzer werden für ihn zum Synonym der Lebenswirklichkeit des heutigen Menschen. Troller hält die Kamera drauf und zeigt, was er unter gutem Journalismus versteht: äußere und innere Distanz. In einem weiteren Filmessay, einem Special, widmet sich Troller dann auch seinem persönlichsten Anliegen, einem Porträt des 1891 verstorbenen Dichters Arthur Rimbaud. Zu diesem Beitrag zeigt er sich auch persönlich vor der Kamera, liest Gedichte zu LSD-beeinflussten Kameraeinstellungen der Orte des Rimbaudschen Lebens und schneidet zwischendurch in die Texte Bilder der zeitgenössischen Jugendkultur (der Siebziger), die wohl ähnliche Absichten verfolgten wie einst Rimbaud oder auch Troller selbst. Gegen das (strenge) Elternhaus aufbegehren, in die Hauptstadt fliehen, dort Revolution machen und schließlich wieder erschöpft und (ohne Reue) in dasselbe Nest zurückzukehren, welcher heute erwachsene Mensch kennt das nicht? Aber Rimbaud machte es anders. Ganz anders. In weiteren ähnlich aufgebauten Porträts lernen wir auch Art Spiegelmann, den Erfinder des Maus-Comic, Edith Piaf, Josephine Baker, Felix Mitterer oder Simone Weil näher kennen. In letzterem Falle wird die kommunistische Mystikerin von Monika Bleibtreu dargestellt und von Troller interviewt, ein besonders gelungener Beitrag übrigens. Das Besondere von Trollers Porträts sind zweifellos nicht nur die Persönlichkeiten selbst, sondern vor allem die Arbeitsweise Trollers. Wenn er etwa mit Peter Beard, dem weltbekannten Fotografen und Playboy, auf Safari in Afrika geht, zeigt er nicht nur die Geschichte der 20.000 toten Elefanten, die Beard erzählen will, sondern auch Beard selbst als Menschen.
Alles Gute zum 100.!
Troller hat es geschafft, eindringliche, menschliche Porträts von Menschen zu schaffen, die man persönlich so nie kennenlernen würde. Stets bleibt er aber in kritischer Distanz zum Objekt seiner Begierde und liest seine Kommentare launig und emotionslos. Es wird nichts beschönigt, aber auch nichts verteufelt. Das ist es wohl, was man früher als seriösen Journalismus bezeichnete. Meilenweit entfernt von der heutigen Emotionshascherei und Sensationslust. Eine Wohltat für jede/n Betrachter/in. Oder wie es Troller im oben angesprochen taz-Interview über die Aufgabe von gutem Journalismus selbst sagt: "Die Art wie ich Journalismus begreife. Ich bin ja kein politischer Journalist.Aber ja, dass die Leute, was sie vorher als fremd oder feindlich ablehnen, am Ende in sich selbst entdecken."
Georg Stefan Troller (Jubiläums-DVD-Box)
Box mit 6 DVDs und Booklet
2021, 27 Filme, ca. 840 Minuten
Filmarchiv Austria
ASIN 3902781904
€29,90
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2022-01-24)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.