Das vorliegende Buch des amerikanischen Journalisten Paul Tough kommt mit einer These daher, die mich jedenfalls bei näherem Hinschauen gar nicht so überrascht hat, habe ich doch als Vater eines mittlerweile in die vierte Grundschulklasse gehenden Sohnes und längjährig engagierter Vater in Kindergarten und Schule schon seit vielen Jahren einen entsprechenden Eindruck.
Was Tough mit vielen Forschungsergebnissen gestützt postuliert: unsere Gesellschaften haben seit Jahrzehnten einseitig die Fähigkeiten unserer Kinder gefördert. Sie haben einseitig auf die Entwicklung der Intelligenz gesetzt und ohne Not zugelassen, dass so etwas wie Charakter- und Herzensbildung auf eine fahrlässige Weise aus den Augen verloren wurden.
Am Beispiel einer Schule in einem sozialen Brennpunkt beschreibt Tough beeindruckend und überzeugend, wie die tatsächliche Förderung benachteiligter Schüler gelingen kann. Dabei wird nicht auf Wissen und Intelligenz fokussiert, sondern auf Fähigkeiten, die lange Zeit als sogenannten „Sekundärtugenden“ diffamiert wurden.
Charakterstärken, die, wie er zeigt, für den Erfolg junger Menschen ausschlaggebend sind, sind nicht angeboren. Sie entstehen nicht von selbst oder durch glückliche Umstände oder gutes Genmaterial. Und sie hängen nicht vom bloßen Willen ab, wie die konservativen Kulturkritiker gerne glauben machen wollen. Sie wurzeln in der chemischen Struktur unseres Gehirns und werden von der Umgebung geformt, in der wir aufwachsen. Deshalb kann die Gesellschaft als Ganzes sehr wohl etwas tun, um Kinder bei der Charakterbildung zu unterstützen. Man kann darüber streiten, wessen Aufgaben das ist, welche Rolle die Eltern, die Erzieher, Geistliche und Nachbarn dabei spielen sollten. Was man aber nicht mehr sagen kann, ist, man könne nichts machen.
Es ist ein Buch voller Hoffnung, das auch kleinsten Schritten von Eltern und Lehrern eine Bedeutung und einen langfristigen Sinn gibt. Keine Intervention, keine persönliche Interaktion ist vergeblich, wenn sie nur mit Wertschätzung und Aufmerksamkeit und vor allen mit dauerhafter Konsequenz erfolgt.
Paul Tough, Die Chancen unserer Kinder. Warum Charakter wichtiger ist als Intelligenz, Klett-Cotta 2013, ISBN 978-3-.608-94803-5
[*] Diese Rezension schrieb: Winfried Stanzick (2013-10-09)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.