Wenn es einen Konsens in Bezug auf die Attributierung unseres Zeitalters gibt, dann ist es der, dass wir uns im Kommunikationszeitalter befinden. Was wir damit meinen, ist dann meistens schon nicht mehr so konsensfähig, denn die Vorstellungen darüber driften sehr weit auseinander. Auffallend ist nur, dass die meisten Deutungen sich auf die Medien und deren technischer Architektur beziehen und weniger auf die Grunddisposition humaner Kommunikation. Vielleicht ist es genau diese technokratische Version, in der wir von Schnittstellen und Servern, von technischen Codierungen und terristischen Vernetzungen reden, die das Tohuwabohu um die Kommunikation und das vermeintlich passende Maß so komplettieren.
Michael Tomasello, seinerseits Kodirektor am Leipziger Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie, hat das Ergebnis einer Forschungsreihe unter dem Titel Die Ursprünge der menschlichen Kommunikation veröffentlicht und damit einen überaus wichtigen Beitrag geliefert, der helfen könnte, von der technokratischen Monothematisierung wegzuführen und die humane Dimension beim Thema Kommunikation wieder ins Zentrum der Betrachtung zu ziehen. In einer kurzen methodologischen Note weist Tomasello gleich zu Anfang des Buches darauf hin, dass es sich um eine Arbeit handelt, in der anthropologisch verwertbare Ergebnisse angestrebt werden und dass er einen Schlüssel für gelungene Kommunikation in geteilter Intentionalität sieht.
Über Studien mit Primaten kommt er zu Kooperations- und Kommunikationsformen der Menschen, deren ontogenetischen Voraussetzungen zu finden sind in der Sozialität und der Bedingung von gemeinsamer Sprache. Trotz aller Unterschiede in der Entwicklungsgeschichte sieht Tomasello diese Grundlagen als die essenziellen Bedingungen für menschliche Kommunikation an. Er hinterlegt dieses immer wieder mit Beispielen und lässt darüber keinen Zweifel aufkommen. Ob es eines ganzen Buches bedarf, um diese Erkenntnis zu Tage zu fördern, sei dahin gestellt. Allerdings existieren noch andere Leseinteressen als die an der Quintessenz. Sie beziehen sich auf die Methodik und die Erkenntnis leitende Fragestellung des Forschers. Und auch in dieser Hinsicht wird der Leser reichlich entlohnt.
Sollte man hingegen von den endlosen, fruchtlosen und zum Teil demagogisch geführten Diskussionen um eine unzureichende Kommunikation genug haben und seit langem nach einer Erklärung für die kontraproduktiven Positionen von Gegnern einer gestaltenden Entwicklung suchen, so führt die Quintessenz Tomasellos durchaus zu einer kognitiven Bereicherung: Wenn es an einer psychologischen Infrastruktur geteilter Intentionalität fehlt, scheitert jede Kommunikation. Das Fehlen selbst ist nicht mit kommunikativen Quantitäten, sondern an anders gearteten Interessen zu erklären. Und die liegen nicht selten bei denen, die sich an der gescheiterten Kommunikation verlustieren. Insofern muss man die Mystifikation enthüllen, um die Kommunikation zu ermöglichen.
[*] Diese Rezension schrieb: Gerhard Mersmann (2010-12-06)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.