Bei der Buchpräsentation im wunderschönen ORF-Radiokulturhaus in Wien, tritt der Autor mit einer Aktentasche auf und liest als erstes das Vorwort aus seinem inzwischen vergriffenen Bestseller „Nur Venedig ist ein bissl anders“ vor. Er arbeite viel – deswegen die Aktentasche – in Venedig werde aber wenig gearbeitet, bemerkt der Autor süffisant und natürlich nicht ohne Ironie, sondern viel mehr Urlaub gemacht. Am Langsamgehen würde man den Touristen erkennen, behauptet Tötschinger, dabei sind es gerade die Venezianer selbst, die am langsamsten gehen. Er kenne die Stadt schon seit 1976, sagt er, und gibt dennoch nur Klischees und Stereotype wieder, so auch in einer seiner Kurzgeschichten aus seinem zweiten Venedigbuch, die er schauspielerisch grimassierend dem erlauchten Publikum vorliest. Nach der Pause legt der Autor dann alle drei Venedigbücher, darunter endlich auch das neueste, das er geschrieben hat, vor sich auf den Tisch und erzählt nicht ganz uneitel, dass sein erstes Buch sogar auf Chinesisch übersetzt wurde, allerdings mit einem falschen Buchcover: es zeige ein Foto von Prag. Als „joint venture“ wurde übrigens Herr Tonhauser von der Musikalischen Sammlung des Technischen Museums Wien (www.tmw.at) geladen, der einen Schreibtisch, wohl aus dem Barock, mitgebracht hat, in den sich Tonwalzen einlegen lassen.
„Rigoletto“ von Verdi wird auf der überdimensionalen Musikbox gespielt, später noch Rossini und Donizetti. Und Gerhard Tötschinger liest weiter, und hat eigentlich fast nichts zu sagen, obwohl man sich das doch von einem Autor erwarten würde, der sein Sujet, die Serenissima, zu kennen vorgibt. Dafür macht er Werbung für ein Innenstadtcafe, das mit der Kameliendame von Dumas und damit auch mit Verdis Traviata sehr viel zu tun habe, aber eben nur mit sehr viel Fantasie, die hat er wohl, der Tötschinger. Ah ja und die italienische „morbidezza“ hat zwar nichts mit der deutschen „Morbidität“ zu tun, aber bitte, irgendwie wollte er halt doch zeigen, dass es zumindest italienisch klingt, auch wenn es vielleicht gar nicht italienisch ist.
Beim Durchlesen seines Buches wird man allerindgs den Eindruck nicht los, dass der Autor sein vorgebliches Wissen, ausschleißlich seiner Fantasie verdankt, denn es scheint irgendwo abgeschrieben und mit ein paar bunten Bildchen – darunter etwa von „Liebig Fleischbrüh` Würfel“ (sic!) - versehen, um damit doch noch zu unterstreichen, dass ja ER es geschrieben habe. Mitunter passieren ihm dabei, beim Schreiben, auch ein paar Kardinalfehler, wie etwa die Geschichte vom „Dogenhof“ auf der Praterstrasse. Gerhard Tötschinger behauptet doch tatsächlich, es sei eine getreue Nachbildung der Ca‘ Foscari, dabei handelt es sich um eine Nachbildung der Ca`d`Oro. Jemandem, der die Stadt Venedig und seine Sehenswürdigkeiten schon seit über 30 Jahren zu kennen vorgibt, dem sollte so ein Fehler eigentlich nicht passieren, zumal die Fassaden der beiden „Ca’s“ (venezianisch für „casa“, „Haus“) ja nun wirklich ganz unterschiedlich sind, wie ein Blick auf eine Internetseite genügt hätte, z.B. diese: http://wien.orf.at/stories/196270/
Abgesehen von der zweifelhaften Absicht, alles, was es über Venedig zu sagen gibt, noch einmal in einem Buch sagen zu wollen und das nicht einmal mit eigenen Worten, ist auch die Art und Weise zu tadeln, wie der Autor es macht, denn sein Buch ist durchwegs schlichtwegs redundant. So gibt er etwa Auskunft über den Diebstahl der „Pferde von San Marco“ aus Konstantinopel, erklärt aber nicht deren eigentliche Bedeutung, nämlich die Tatsache, dass sie als Insignien der Macht von Rom nach Byzanz gebracht wurden, um die neue Hauptstadt des Reiches und die Verlagerung seines Mittelpunktes nach Osten zu symbolisieren. Ein weiterer Fehler ist zum Beispiel die Illustration einer Geschichte des Bucintoro mit einer Zeitung, die eindeutig ein Foto der „Regata di Venezia“ zeigt. Nun, dies wäre nicht weiter schlimm, wenn man nicht wüßte, dass der Bucintoro zwar bei der „Festa della Sensa“ (Lo sposalizio del mare) im Mai eine Rolle spielt, nicht aber bei der „Regata Storica“ im September. Das Datum steht übrigens auch ganz deutlich unter dem Titel der abgebildeten „Illustrazione del Popolo“ und selbst ein Laie begreift dadurch, dass es sich gar nicht um die Festa della Sensa handeln kann. Oder die Geschichte von der Ca‘ da Mosto: Tötschinger erzählt, dass es ein wichtiges „Haus“ war, aber nicht, dass deren Besitzer, die Familie, die ersten waren, die den Baccalà nach Venedig brachten. Gerade das wäre doch die wertvolle Information und nicht, dass es früher, vom 17. bis zum 19. Jahrhundert einmal ein Hotel gewesen sei, wo Cole Porter 200 Jahre später absteigen hätte sollen.
Wenn der werte Autor Albrecht Dürer in Venedig mit dem Satz „Hier bin ich ein Herr, daheim ein Schmarotzer“ zitiert, dann mag so mancher in die andere Richtung denken, Sport ist auch für das Gehirn gut. Napoleon, der Korse, der politisch zu Genua gehörte, schwor einst Venedig, der traditionellen Konkurrentin Genuas, ein zweiter Attila zu sein, vielleicht ist aber genau das, zwei Jahrhunderte später, dem Gerhard Tötschinger endlich gelungen. Diese Selbstüberschätzung würde ihm auch sicherlich gut gefallen. Abgesehen von der sehr mangelhaften Ausdrucksweise des Autors („ätsch“, „exorbitant in der Minuskiste“, „rialtesk“, „Prachstraße Canal Grande“) und den inhaltlichen Fehlern, hat er auch noch Illustrationen „entwendet“, die im Abbildungs-verzeichnis gar nicht erwähnt werden, meines Wissens von Hugo Pratt, aber ich kann mich ja auch täuschen. Der Autor reiht so viel Material aneinander, dass er dann gar nicht mehr ins Detail gehen kann und so strandet er mit seinem ambitionierten Versuch, seiner Wahlheimat ein würdiges Zuhause zu geben. Sein altväterlicher Plauderton, der da so versöhnlich und paternalistisch daherkommt, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass er in Wirklichkeit auch nur ein weiteres Buch über Venedig geschrieben hat, das seinem Inhalt nicht gerecht wird. Es ist schade, dass ein Verlag ein Buch publiziert, nur weil dessen Autor einen bekannten Namen trägt und es dann gar nicht einmal lektoriert und unbekannten Autoren, die wirklich etwas zu sagen hätten, keine Chance gegeben wird. Man sollte sein Publikum eben nie unterschätzen. Es bleiben aber immerhin noch die Rezepte am Ende dieser Publikation, gutes Gelingen!
Gerhard Tötschinger
Venedig für Fortgeschrittene
Bon di, Venezia cara
248 Seiten,
2. Auflage, zahlreiche Abb.
ISBN: 978-3-85002-695-6
24.95 EUR
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2010-06-22)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.