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Uwe Timm - Freitisch
Buchinformation
Timm, Uwe - Freitisch bestellen
Timm, Uwe:
Freitisch

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(Bücher frei Haus)

Auch mit seiner neuen Novelle "Freitisch" zeigt Uwe Timm, dass er zu Recht zu den besten deutschen Schriftstellern der Gegenwart gezählt wird. Reflektierte er in zwei seiner letzten Bücher das Leben und das Schicksal von Menschen, die er persönlich kannte und dachte über seine Beziehung zu ihnen nach, seinen Bruder bei der Waffen-SS in "Am Beispiel meines Bruders" und den vom Polizisten Kurras 1967 erschossenen Studenten Benno Ohnesorg in "Der Freund und der Fremde", spielt er auch in dieser Novelle virtuos mit seiner Erinnerung. Und indem er sie in eine Geschichte kleidet, immer literarisch sehr anspruchsvoll, erzählt und begreift er gleichzeitig nicht nur einen Abschnitt seines eigenen Lebens, auch wenn es diesmal nur verschlüsselt geschieht, sondern auch einen Teil bundesrepublikanischer Geschichte.

Die Novelle "Freitisch" geht in die Zeit zurück, bevor die Studentenrevolte begann und spürt in der Erinnerung der Protagonisten jener Stimmung nach, die sich von dem Nachkriegsmief schon längst verabschiedet hatte, aber noch nicht zur Entscheidung zur Revolte gelangt war.

Die Novelle spielt in Anklam, wo der namenslose Erzähler nach der Wende als Lehrer gearbeitet hat und nun nach dem Ruhestand ein Antiquariat führt, mit dem er allerdings keinerlei Gewinnabsichten verbindet. Es dient seiner großen Leidenschaft, dem Sammeln von Erstausgaben, insbesondere von Arno Schmidt. Auf ihn wird gleich noch zurückzukommen sein. Eines Tages trifft der Erzähler in Anklam auf Euler, einem studentischen Freund aus alten Tagen Anfang der sechziger Jahre, als der Erzähler zusammen mit Euler, einem angehenden Mathematiker mit literarischen Ambitionen und einem dritten Studenten namens Falkner in München in der Nähe des Englischen Gartens an einem "Freitisch" in der Kantine einer Versicherung saß und über Gott und die Welt und vor allem über Arno Schmidt debattierte.

Euler ist in das relativ arme Anklam gekommen, um dort als Planer die Möglichkeiten für den Bau einer Mülldeponie zu prüfen und sie dann entsprechend durchzusetzen. Doch schon bald denkt er nicht mehr darüber nach, sondern verschwindet in langen Gesprächen mit dem Erzähler in den Erinnerungen an damals, als sie zu dritt, manchmal auch noch mit Gästen, am Freitisch saßen und über Literatur diskutierten, oft auch über das Schaffen von Falkner, der dauernd vorgab zu schreiben , von dem aber nie jemand auch nur ein Wort gelesen hatte. Mehrfach wird erwähnt, dass er heute ein bekannter Schriftsteller sei. Verbirgt sich dahinter etwa der Autor selbst?

Mit viel Witz und Ironie beschreibt Uwe Timm die Gespräche und Erinnerungen der beiden Hauptpersonen. Was wir wollten, was wir wurden - so hieß nach 1968 ein Buch von Peter Mosler. Doch am Freitisch ist von der Bewegung noch nichts zu spüren. Man liest Arno Schmidt, den man sogar einmal in seinem Dorf besucht, und noch lange nicht Adorno und Marcuse. Es ist noch ruhig im Land, doch man spürt in dieser kongenial verfassten Novelle, dass das nicht mehr lange so bleiben wird.

Alle drei am Freitisch haben die Revolte mitgemacht, davon kann man ausgehen, beim Autor selbst weiß man es durch seine Bücher ganz genau. Doch was ist davon geblieben, von den Idealen, den Hoffnungen und den Wünschen?

Unsentimental und erfrischend ist Uwe Timm wieder einmal diesen Fragen literarisch auf der Spur. Ein sehr gelungenes Buch.

Uwe Timm, Freitisch, DTV 2012, ISBN 978-423-14152-9

[*] Diese Rezension schrieb: Winfried Stanzick (2013-08-13)

Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.


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