„Ich habe immer ein Grapefruit bei mir.“ Der Journalist Raoul Duke und sein Anwalt Dr. Gonzo machen sich mit einem Kofferraum voller Drogen auf die Suche nach dem amerikanischen Traum und landen dabei zuerst in einem roten Hai auf einem Auto-Rennen, dann- im zweiten Teil des Buches – in einem weißen Wal auf einem Bezirksstaatsanwältekongress in Las Vegas, was wohl die beste Stadt ist, diesen Traum auch tatsächlich zu erleben, aber die ungeeignetste um psychodelische Erfahrungen zu machen, denn „Die Realität dort ist zu verdreht.“ Aber vielleicht liegt es auch an seinem Aufzug: „Ich sah ziemlich schlimm aus: alte Levis und weiße Chuck-Tylor-All-Star-Basketball-Leinenschuhe und mein zehn-Peso-Acapulco-Hemd war schon lange in den Schulternähten aufgerissen vom Fahrtwind. Mein Bart war drei Tage alt, und meine Augen waren total beschattet von Sany Bull’s Saigon Gläser.“ Die Hell’s Angels und Berkeley Allianz
„Die entscheidende Geschichte unserer Generation“, wie Duke, den vor sich zu schreibenden Roman selbst nennt, beschreibt das Lebensgefühl in den Sechzigern in denen scheinbar alles möglich war, selbst dass sich die politische doch eher rechts angesiedelten Hell’s Angels mit den linken Studenten von Berkeley verbünden könnte. Entscheidend dabei war wohl, dass sie dieselben Drogen nahmen, aber die Allianz gegen das Establishment kam dann doch trotz flammender Apelle Ginsbergs und rauschender Parties im Hause Ken Keseys nicht zustande und damit scheiterte für manche wohl ein ganzes Projekt. Spätestens nach Altamont 1969 waren Allen Ginsberg und Ken Kesey mit ihrem Versuch ohnehin gescheitert. Das Bündnis mit der radikalen Linken von Berkeley war für Thompson „das historische Schisma in der Jugendbewegung der Sechziger Jahre“. Denn Thompson selbst fühlte sich der Fillmore-Generation durchaus verbunden, auch wenn er sie immer wieder scharf kritisierte. „Was Leary mit sich selbst in den Abgrund riss, war die zentrale Illusion eines ganzen Lebensstils, den er mit geschaffen hatte… eine Generation unheilbarere Krüppel, erfolgloser Sucher, die niemals den grundlegenden altmystischen Trugschluss der Acid-Kultur durschaut hatten: die verzweifelte hoffnungslose Annahme, es gäbe jemanden – oder zumindest irgendeine Kraft - die das Licht am Ende des Tunnels hütet.“ „Sympathy for the Devil“
Eigentlich hätte man für den Soundtrack des Buches oder seiner Verfilmung also vor allem „Sympathy for the Devil“ wählen müssen, denn auch Thompson paraphrasiert es öfter. Sein Buch ist vor allem auch ein Abgesang auf die Sixities und auf den gesellschaftlichen rollback: „Funken schlagen konnte man überall. Und es herrschte dieses fantastische universale Gefühl, das alles, was wir taten, richtig sei. Wir hatten keine Zweifel, dass wir gewinnen würden. (…) Hinter uns stand die Naturgewalt; wir ritten auf dem Kamm einer hohen wunderschönen Welle… (..) Und weniger als fünf Jahre später schon, konnte man auf einen steilen Hügel in Las Vegas klettern und nach Westen blicken und wenn du die richtigen Augen hattest, dann kannst du die Hochwassermarkierung fast sehen – die Stelle, wo sich die Welle schließlich brach und zurückrollte.“ Doktor Journalismus und der Affe
Schwer ins Gericht geht Thompson auch mit seiner eigenen Zunft. „Journalismus ist weder Beruf noch Handwerk. Er ist nichts als ein billiges Asyl für Arschlöcher und Missratene eine blinde Gasse zur Kehrseite des Lebens, ein dreckiges, nach Pisse stinkendes kleines Loch auf Anordnung eines Baumarkt-Inspektors zugenagelt, aber gerade noch groß genug für einen Wermutbruder, sich in seiner Nische am Gehsteig zu verkriechen und sich einen runterzuholen wie ein Schimpanse im Zoo-Käfig.“ Bald stellt sich nicht nur Duke die entscheidende Frage: „Wie lange können Körper und Hirn diesen ausweglosen Irrsinn noch ertragen?“ Die Paranoia („You can run, but you can‘t hide“, O-Ton Joseph Louis Barrow) und Gedankensprünge (brutal und gleichzeitig für ihn total einleuchtend) seines samoanischen Anwalts lassen „Die feine und schicksalhafte Trennungslinie zwischen Kontrolle und Katastrophe“ bald auch für den Leser spürbar werden. “Once you get started, the tendency is to push it as far as you can“
„Sonntag um vier morgens. Klammern sie sich noch immer an den Amerikanischen Traum, diese Vision, sie würden den Großen Gewinn noch in diesen letzten chaotischen Minuten vor Sonnenaufgang im schalen Vegas Casino machen.“ Hunter S. Thompson, der sich ebenso wie seine beiden Protagonisten auf der Suche nach dem amerikanischen Traum befand, schildert mit lakonischem Witz die Paranoia Drogenkranker, die sich in ihrem Wahn sogar an Räuber und Gendarm Spiele mit der Highway Patrol wagen. Die Thunder-Road-Mondschein-Bomber-Nummer scheitert nur an einem kleinen Detail: die Bierdose in seiner zusammengekniffenen Faust. Energien fließen aber ohnehin nur nach „den Launen des Großen Magneten“. Der zweite Teil des Romans beginnt dann fast lapidar mit einem Albert Camus Stehsatz: „Die Sonne brannte heiß, und mir war danach, etwas zu töten. Egal was.“ Auf der Bundeskonferenz der Bezirksstaatsanwälte über Narkotika und gefährliche Drogen (Stichwort: Cockroachtheorie) macht ihnen vor allem eine gewisse Lucy Kopfzerbrechen, denn sie ist noch viel abgefahrener als der dunkelste American Dream. „Wenn ich die Umstände bedachte, fühlte ich mich total eins mit meinem Karma“, heißt es dann für Duke inmitten all dieses Chaos und die Lösung scheint greifbar und doch so fern: „Vielleicht sollten wir heute mal einen auf ruhig machen“, meint Duke zu Gonzo, als sie am Tropicana vorbeirauschten. Duke hat aber immer noch ein „1A Karma in Reserve“. „Ich weiß man kann dem äußeren Eindruck niemals trauen, Lucy, manche Leute sind durch und durch rot, auch wenn sie nicht so aussehen.“
Den American Dream finden Duke und Gonzo schließlich am Paradise Boulevard in einer Tacobar. Lou, der Koch und die Kellnerin kennen da am Ende der Straße so einen Psychiater-Club. Doch an dieser Stelle übernehmen wieder die Anmerkungen des Lektors das Ruder dieses aus dem Ruder geratenen Romans: die Tonbandaufzeichnungen von Duke sind nicht mehr verständlich.
HUNTER S. THOMPSON
Angst und Schrecken in Las Vegas. Eine wilde Reise in das Herz des Amerikanischen Traumes (Originaltitel: Fear and Loathing in Las Vegas)
Aus dem Amerikanischen von Teja Schwaner
Taschenbuch, Broschur, 256 Seiten, 11,8 x 18,7 cm
ISBN: 978-3-453-40137-2
Verlag: Heyne
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2015-03-25)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.