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Johannes Thiele - Elisabeth
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Thiele, Johannes:
Elisabeth

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(Bücher frei Haus)

„Je voudrais quem on ame s’en volasse cers le ciel par une toute petite ouverture du coeur.“ (Ich wünschte, meine Seele flöge zum Himmel durch eine ganz kleine Öffnung meines Herzens.) habe Sisi auf Französisch kurz vor dem Attentat in Genf am 10.9.1898 zur Gräfin Rothschild gesagt. Sie sprach neben Französisch übrigens auch noch Englisch und Ungarisch fließend, aber leider kein Italienisch. War es dennoch kein Missverständnis? Der italienische Anarchist Luigi Lucheni, der nach Genf gekommen war, um den Herzog von Orléans zu töten, erstach aus Ermangelung anderer Prominenz kurzerhand die Kaiserin von Österreich. Lucheni der in seiner Rechtgertigung nach dem kaltblütigen Attentat mit einer Nagelfeile “chi non lavora non mangia” (Wer nicht arbeitet, ißt nicht) gesagt haben soll, wird in vorliegender Publikation auf einem Foto mit zwei Polizisten gut gelaunt und mit einem frechen Grinsen gezeigt. Er glaubte wirklich, die Welt von einer Tyrannin befreit zu haben, dabei war Elisabeth selbst wahrscheinlich vielmehr die Tyrannisierte.

Tod und Leben voller Missverständnisse
Auch ihre Hochzeit war eigentlich ein Missverständnis, denn Herzog Max von Bayern und seine Frau Ludovika, Prinzessin von Bayern, hatten eigentlich ihre ältere Schwester, Helene, genannt Néné, für den jungen Kaiser Franz Joseph vorgesehen. Néné war vier Jahre jünger, Sisi immerhin sieben Jahre jünger. Zwei Jahre nachdem sie sich das erste Mal begegnet waren heirateten sie: der Kaiser ein Junger 23-jähriger, sie immerhin schon knackige 17, im Dezember desselben Jahres, am 24. wurde sie dann 18. Elisabeth war also das, was man im Wiener Volksmund ein „Christkindl“ nennt, denn wer am 24. Dezember geboren wird noch dazu mit einem Zahn, dem wird von aller Welt großes Glück prophezeit. Doch es gehen eben nicht alle Prophezeiungen in Erfüllung, oder vielleicht nur die schlechten, wie der rumänische Kulturpessimist Emile M. Cioran wusste: „Sisi ist das Sinnbild einer verdammten Welt. Sie selber war zu verfeinert, zu edel, zu – ohne Nachwelt. Eine Art Fluch lag auf ihrer Familie und fast auf der gesamten Kultur, mit der sie verbunden war. Sie ist ein Fall und ein Symbol zugleich. Deshalb kommt man an ihr nicht vorbei.“

Sisi: Symbol des Untergangs
Als Symbol für den Untergang möchte Cioran sie gleichsam instrumentalisieren und doch war sie zugleich auch ein außerordentlicher, individueller „Fall“. „Sie schien geschaffen für das Glück, und doch verlief ihr ebenso ereignis- wie rastloses Leben in einer unaufhörlichen Melancholie“, schreibt der Herausgeber Johannes Thiele in seinem Vorwort. Als „ereignislos“ wird man ihr Leben allerdings nach der Lektüre dieses hochwertigen Bildbandes des Brandstätter Verlages überhaupt gar nicht bezeichnen können, denn auch die in vorliegender Publikation mehr als 1000 Fotos zeigen eine Frau, die zwar niemals etwas vollbracht hat, aber dennoch erschöpft starb, um den von Thiele vielzitierten Cioran zu paraphrasieren. Selbst das Paradies verwandle sich eines Tages in eine/die Hölle, wenn man darin bleiben müsse, so Sisi. Wahrscheinlich musste sie deswegen immer flüchten, aus ihrem Leben bei Hofe, aus ihrer Identität als Kaiserin, aus ihrer Existenz als Frau.

Self-fulfilling prophecy
Geradezu verbissen habe sie auf ihre 50 kg Gewicht geachtet und ihre Taillenweite von 45 cm habe sie zeitlebens nie überschritten. „Unnahbar und fesselnd, Weib und Melusine zugleich, narzisstisch über ihren Körper wachend, öffentlichen Ehrungen abhold, nicht aber dem Luxus, frei in ihrem Urteil, doch Sklavin ihrer Melancholie, könnte Elisabeth von Österreich dem neu erwachten weiblichen Selbstbewusstsein geradezu als Kultfigur dienen.“, schrieb die FAZ einmal. War sie so etwas wie die Vorreiterin der modernen Frau? Andererseits habe sie aber auch die Einsamkeit vergöttert, den Fluch der Selbstverwirklichung und die Flucht in das eigene Innere als letztes Refugium der Seele, die Schönheit sucht, das sei ihre persönliche Tragik gewesen, so Thiele. „Ich glaube, dass ihre Leiden durchaus real waren, aber sie wurden von der Schwermut umgewandelt. Die Lawine von entsetzlichen Unglücksfällen, die auf sie einschlug war quasi nur ein Beweis, eine Bestätigung dafür, dass sie sich in ihrem ursprünglichen Lebensgefühlt nicht getäuscht hatte.“, so Emile M. Cioran, dessen Quelle in der Bibliographie in vorliegendem Buch leider fehlt.

Die noble Langeweile: noblesse oblige
„Il faut que les princesses apprennent à s’ennuyer avec grace”, soll Herzogin Ludovika von Bayern als Erziehungsmaxime für ihre Kinder ausgegeben haben, so Thiele, und man mag dieses Zitat gerne interpretieren, denn fürwahr ist “langeweilen” eine wahrlich fürstliche Disziplin und es erfordert eine gewisse Kunst, es auch noch mit „Grazie“ zu tun. Was ist größerer Ausdruck von Wohlstand als Langeweile? „Mein Vater war ein großer Jäger vor dem Herrn und er wollte, dass wir wie die Gemsen springen lernen“, habe Elisabeth einmal in Erinnerung an ihrer Kinderzeit gesagt. Zwei konträre Erziehungspositionen, Max gegen Ludovika, oder nur ein Zufall in der falschen Auslegung dieser so konträren Zitate? „Nein wie süß sie ist, sie frisch wie eine aufspringende Mandel und welch herrliche Haarkrone umrahmt ihr Gesicht! Was hat sie für liebe, sanfte Augen und Lippen wie Erdbeeren…Sisi – Sisi – dieser Liebreiz, diese kleinmädchenhafte und doch so süße Ausgelassenheit!“, so Franz Joseph über die 15-jährige Elisabeth, die er in Bad Ischl kennenlernte und die seine Mutter, Erzherzogin Sophie sogleich als „Fratz“ betitelte. Ein Urteil, das sie zeitlebens nicht mehr revidieren sollte.

„Ein Schatten der durch ein Schattenreich zieht .“
Elisabeth Amalia Eugenia war das dritte von acht Kindern, von vier Kindern verlor sie zwei, eine böse Schwiegermutter, ein intriganter Hof, eine Ehegatte, der sie zuweilen „bös und sekant“ nannte und seine Briefe mit „Dein Kleiner“ oder „Dein Männchen“ unterschrieb, um dann zu seiner Mutter zu halten, wenn sich die beiden Frauen wegen Kindererziehung wieder einmal gezankt hatten. Sie sei so schnell zu Fuß unterwegs gewesen, dass die Geheimpolizei glaubte, sie sei auf der Flucht vor Taschendieben. „Kein Vergnügen wieder im Geschirr sein zu müssen“ nannte sie selbst ihre öffentlichen Auftritte eine Qual, ein Begriff den sie wohl aus der Pferdsprache entlehnt hatte, die einzigen Lebewesen, mit denen sie mehrere Stunden zusammenbleiben konnte. Aus Liebe zum Meer habe sie sich (mit 51!) einmal einen Anker auf die Schulter tätowieren lassen, nach Rudolfs Tod sei sie 10 Jahre nur mehr schwarz gekleidet zu sehen gewesen, immer mit Schirm und Fächer unterwegs, weil sie ab 40 nicht mehr fotografiert werden wollte, was ihr auch den Beinamen „Tintenfleck“ eingebracht haben dürfte: „Ein Schatten der durch ein Schattenreich zieht.“

Letzter Wille: ignoriert
Ihr letzter Wille - auf Korfu bei ihrem Achilleion begraben zu werden, wurde nicht respektiert. „Ich habe ihm diesen Palast geweiht, weil er für mich die griechische Seele personifiziert und die Schönheit der Landschaft und der Menschen. Er war stark und trotzig und hat alle Könige und Traditionen verachtet. Er hat nur seinen eigenen Willen heilig gehalten und nur seinen Träumen gelebt.“, so Sisi über ihre Achilles-Statue vor ihrem Schloss „Achilleion“ auf Korfu. Zu ihrem Vorleser, Constantin Chrisostomanos, soll sie direkt existentialistisches Gedankengut geäußert haben, das über ihre bekannten Gedichte und Reime weit hinausging: „Wenn diese ganze Existenz nur provisorisch ist, wozu braucht man dann die Beständigkeit suchen? Man muss Gleiches durch Gleiches unschädlich machen. So überwindet man auch diese Krankheit. Das Leben hat nur den einen Zweck, in seiner jeweiligen Form überwunden zu werden, wie eine Krankheit. Und wenn man es überwinden will, darf man sich vor nichts fürchten, soll man alles wünschen, gegen alles gleichgültig sein.“ Wenn die Kaiserin es nicht einmal schaffte, glücklich zu sein, wer denn dann?
Johannes Thiele hat mehr als 1000 Fotos und Dokumente zu einem farbenfrohen Bilderbuch und Familienalbum zusammengetragen. Leider ist es etwas schlampig recherchiert, zum Beispiel wurde Cioran in der Bibliographie nicht angegeben, zweimal dasselbe wortgleiche Zitat von ihm verwendet und „ereignis-los“ kann man Sisis Leben wohl beim besten Willen auch nicht nennen. Dennoch ein schönes, großformatiges Album für die ganze Familie. Wer etwas kritischere Distanz erwartet, dem sei als Ausgleich auch das „Schwarzbuch der Habsburger“ - herausgegeben von Hannes Leidinger, Verena Moritz und Berndt Schippler - des Deuticke Verlages ans Herz gelegt.

Johannes Thiele
Elisabeth
CBV.at

[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2012-07-10)

Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.


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