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Klaus Theweleit - Die Erfindung des Vokalalphabets auf See, die Entstehung des Unbewussten und der Blues
Buchinformation

Der vor allem durch "Männerphantasien" (1977/78), das in einer Neuauflage ebenfalls bei Matthes & Seitz erschienen ist, bekannt gewordene Autor wird dieses Jahr 81. In seinem "Wellenroman" stellt er den Zusammenhang zwischen dem Alten Griechenland und dem amerikanischen Blues her. Eine Leseabenteuer, das sich am besten in einem Schwung durchkämmen lässt.

Mit Hexametern gegen den Wind brüllen

Fremde Zungen würden behaupten, das Vokalalphabet wäre ausschließlich zum Zwecke der Niederschrift der Verse der Ilias erfunden worden. Einhergehend mit dieser Alphabetisierung sei stets auch eine Demokratisierung, wie Theweleit übereinstimmend mit Walter Burkert behauptet. Verantwortlich für die Erfindung der Vokale und damit deren Niederschrift sei vor allem die Seefahrt gewesen, "das Medium der Invitation für die Welteintritt überhaupt". Piraten auf ihren Kaperfahrten werden zu Helden stilisiert, das griechische Wort "peiran" bedeute nicht umsonst "erproben, suchen, wagen". Aber ohne ihren Sänger, den Aoidos, hätten auch die ausladendsten Gelage keinen Wert gehabt. Und flugs wurde die Hexameterdichtung zu einer Möglichkeit "Fluktuierendes fixierbar zu machen". Ein Reim hilft ganz einfach der Überlieferung: es lässt sich besser merken und vermittelt zudem das Gefühl des Göttlichen. Denn so wie es durch den Mund des Sängers kommt, würden nur die Götter reden. "Always pee in lee" oder "Richtung See, schluckt's die See!" lässt sich durch die Windgeräusche des Meeres oder den Lärm der Ruder doch auch besser verstehen. Gebrüllte Kommandos mit Vokalen ebenso. "Vokale schenken zwar Musik, Konsonanten aber Sprache." Ab 1502 hätten alle Schiffe der spanischen Flotte einen Bordschreiber mit an Bord gehabt, weiß Theweleit. Ein solcher war etwa Amerigo Vespucci, der dem sog. pilot mayor in Sevilla, oder Cadiz Bereich erstatten hätte müssen.

Zitatenschatz und weiterführende Literatur

Theweleit driftet dann kurzfristig in den amerikanischen Süden ab, um den Blues als Sprache der Schwarzen zu preisen. Ein Unterfangen, das manchen vielleicht unzusammenhängend erscheinen mag, aber bald noch durch einen Vergleich zwischen Troja (Illion) und Sarajewo getippt wird. Interessant auch der Dialog eines Palästinensers mit einem Juden, den Theweleit zitiert: "I'm looking for the Poet of Troy, because Troy didn't tell its story.(...) Is poetry a sign or is it an instrument of power? (...) There's more inspiration and humanity in defeat than there is in victory." In every defeat: victory. Klaus Theweleit stiftet noch mehr Verwirrung indem er Godards metaphorischen Film "Socialisme" entschlüsselt und als Nachsatz beinahe beiläufig erwähnt, dass das Schiff, auf dem der Film gedreht wurde, die Costa Cordalis gewesen sein. Diesen Luxusdampfer lohnt es für die Pointe zu googeln. Seemannsgarn ein Hilfsausdruck. Und genau diese verqueren Denkanstösse sind es, die das Lesen von Theweleits Interventionen so lesenswert machen. Denn seine Texte sind stets gespickt mit weiteren Hinweisen und Referenzen zu spannenden Themen. Black Athena als "Nabelbruch" zum Beispiel oder auch der Zusammenhang zwischen der Lehre von den Alten Griechen und den Ariern des 20. Jahrhunderts.

Vorliegende Publikation wurde mit Werken der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts illustriert und lädt zur weiteren Recherche an. Im Anhang befinden sich viele lesenswerte Anmerkungen, die bei Klaus Theweleit meist länger sind als der eigentliche Text. Auch die Fußnoten sind nie zu kurz. Eine rasante Kreuzfahrt also, durch die Meere der abendländischen Philosophie und Ideengeschichte...

Klaus Theweleit
a - e - i - o - u
Die Erfindung des Vokalalphabets auf See, die Entstehung des Unbewussten und der Blues
287 Seiten, Hardcover mit Schutzumschlag
Matthes & Seitz Verlag
ISBN: 978-3-7518-0331-1
28,00 €

[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2023-07-12)

Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.


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