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Philipp Ther - Die neue Ordnung auf dem alten Kontinent. Eine Geschichte des neoliberalen Europas
Buchinformation
Ther, Philipp - Die neue Ordnung auf dem alten Kontinent. Eine Geschichte des neoliberalen Europas bestellen
Ther, Philipp:
Die neue Ordnung auf dem
alten Kontinent. Eine
Geschichte des
neoliberalen Europas

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(Bücher frei Haus)

Ist nun der Westen im Osten angekommen oder der Osten im Westen? Was gemeinhin als Transformation der ostmitteleuropäischen Staaten nach 1989 bezeichnet wird erhält durch Philipp Thers locker geschriebenes Narrativ eine Neuinterpretation. Wie im Vorwort angesprochen, würden „westliche Regierungen und Experten implizit suggerieren, dass sich im Osten fast alles, dagegen im Westen fast nichts ändern müsse“. In seiner lesenswerten „Geschichte“ des neoliberalen Europas zeigt Philipp Ther, dass sich aber sehr wohl auch im Westen etwas geändert hat und legt dabei einige beliebige persönliche Schwerpunkte, die mit seiner eigenen Biographie als Wissenschaftler zwischen Ost und West zu tun haben. Immer wieder lässt Ther nämlich auch seine persönlichen Erfahrungen miteinfließen, etwa wenn er aufgrund seines Forschungsaufenthalts am Europäischen Hochschulinstitut in Florenz plötzlich einen Rekurs auf die italienische Wirtschaft (und Gesellschaft) macht. Im Zentrum seiner Betrachtungen sind aber vor allem die Metropolen Warschau, Prag, Berlin und Wien und außerdem die (aktuelle) Revolution in der Ukraine, also quasi alles, was nach 1989 geschah.

Transformation und Ko-Transformation
Das neue Schlüsselwort ist also die bereits oben angesprochene nunmehrige „Ko“-Transformation, die sich dadurch auszeichne, dass sie den Zusammenhang zwischen den Reformdiskursen in Ostmitteleuropa und der Bundesrepublik untersucht und dabei auch „globale Diskurse und Verbindungen“ berücksichtigt. Ther erkennt diesen Zusammenhang besonders bei den Diskussionen um die Rentenreform und die Flat Tax. „Der Begriff der Kotransformation soll somit kein Chiffre für simple Erklärungen sein, sondern die Zeitgeschichte Ost- und Westeuropas verbinden. Dies geschieht unter der Prämisse, dass der Osten´ und der `Westen´ keine feststehenden Einheiten sind und dass sich die Staaten und Gesellschaften in diesen größeren Räumen stark auseinanderentwickelt und differenziert haben“ (Hervorhebungen durch PT). Eine der wohl nachhaltigsten Veränderungen in der Bundesrepublik war sicherlich die nach VW-Betriebsrat und -Manager Peter Hartz benannten Hartz I-IV Gesetze, die einen Arbeitslosen im Westen und Osten seine gesamten Ersparnisse und Vermögen kosteten. Das Schlagwort des „aktivierenden Sozialstaats“ dachte vom einzelnen Bürger als „autonomes Subjekt, das seinen Lebensweg selbst gestaltet“, wie Ther erklärt, „in dieser Logik sei die Pflicht zur Eigenverantwortung und Verantwortung des Einzelnen gegenüber dem Staat“ vorausgesetzt. Auf der anderen Seite pass(t)e aber die „obrigkeitsstaatliche Gängelung und die Mithaftung der Familie nicht sonderlich zur Idee des freien und flexiblen Bürgers“, so Ther.

Goodbye, Sozialstaat!
An obigem Beispiel lässt sich leicht erkennen, was mit Kotransformation gemeint ist und dass von den Veränderungen in Ostmitteleuropa nach 1989 eben auch der Westen betroffen war/ist. Das „freie Experimentierfeld“ für die Ökonomen des IWF, Ostmitteleuropa, wurde herangezogen, um auch Veränderungen im Westen - besonders auf dem Feld des Sozialstaates - zu begründen und durchzubringen. Der alte Spruch „Schau doch in den Osten!“ wurde nach dem Ende des Kalten Krieges benutzt, um den viel zitierten „Reformstau“ (etwa in der BRD) zu beseitigen und den Sozialstaat massiv abzubauen. Denn nach dem Ende des kommunistischen Experiments und dessen Scheitern konnte der sozialpolitische und gesellschaftliche Rollback ungehindert einsetzen. Philipp Ther hat sich mit seinem Narrativ -die Geschichte der letzten 25 Jahre eines gesamten Kontinents nachzuerzählen - viel zugetraut. Er greift auf ökonomische Statistiken und eine reiche fachspezifische Literatur zurück und resümiert: „Der Neoliberalismus ist paradoxerweise auf einen starken Staat angewiesen“. Dort wo breite Mittelschichten entstehen konnten - etwa Polen - sei die Gesellschaft tatsächlich leistungsfähiger geworden, in Ländern wie Russland mit Oligarchen an der Spitze der Wirtschaftsleistung sehe die ökonomische und gesellschaftliche Bilanz allerdings weniger gut aus. Das Beispiel Südeuropa wiederum zeige, dass über kurz oder lang auch die reicheren EU-Staaten in Form von Arbeitsmigration und Lohndruck von der Krise erfasst werden. Sinkenden Löhne und der Abbau sozialstaatlicher Leistungen wird ein europäisches Land nach dem anderen erfassen, so Thers pessimistisches Zukunftsszenario.

Philipp Ther
Die neue Ordnung auf dem alten Kontinent.
Eine Geschichte des neoliberalen Europas.
2015, Suhrkamp

[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2015-07-01)

Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.


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