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Rezensionen


 
Uwe Tellkamp - Der Hecht, die Träume und das Portugiesische Café
Buchinformation
Tellkamp, Uwe - Der Hecht, die Träume und das Portugiesische Café bestellen
Tellkamp, Uwe:
Der Hecht, die Träume
und das Portugiesische
Café

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(Bücher frei Haus)

Der erzählerische Einstand des inzwischen vielgerühmten und bepreisten Dresdner Schriftstellers Uwe Tellkamp „Der Hecht, die Träume und das Portugiesische Café“ wurde vom Verlag Faber & Faber neun Jahre nach seinem ersten Erscheinen im Sog des Erfolges von „Der Turm“ nochmals aufgelegt. Seinerzeit fand der Roman beim Publikum nur mäßige Resonanz, aber die Trittbrett-Neuveröffentlichung im Kielwasser desjenigen Bestsellers, für den Tellkamp 2008 den Deutschen Buchpreis und 2009 den Nationalpreis erhalten hatte, erschien dem Inhaber der Rechte wohl zu verlockend, um sich vom Protest des Autors, der sich von diesem Frühwerk heute distanziert, beeindrucken zu lassen. Eine durchaus verständliche wirtschaftliche Entscheidung. Literarisch dagegen kommen bereits nach wenigen Abschnitten Zweifel auf, die sich spätestens auf Seite 50 zur Gewissheit verdichten: hier stimmt etwas nicht. Aber der Reihe nach: thematisiert wird eine romantische, unausgesprochene Liebesgeschichte zwischen dem jungen Lyriker Florian und der Geigerin Sophie, die ungefähr Mitte der 1990 Jahre im sogenannten Hechtviertel Dresdens angesiedelt ist. Bohèmehaft geschilderte Künstlerpersönlichkeiten wie der Maler Martin, der Dichter Florian, der Antiquar Bruno Korra und die Musiker der Gruppe „Tango Verde“ treffen sich im Dunstkreis des gründerzeitlichen „Portugiesischen Cafés“, um einen fast rauschhaft anmutenden, vom Spiel des Lichts und der Farben, von Freundschaften und der Liebe zum Schönen, zur Kunst in all ihren Facetten geprägten Sommer zu verleben. Was vermutlich als Verteidigung einer längst untergegangenen, feinsinnigen und feinfühligen Wertegemeinschaft bildungsbürgerlich geprägter Menschen gemeint war, gerät Tellkamp durch gestelzt wirkende Dialoge und leider gerade auch durch sein Talent, fast schon übergenau beschreiben zu können, völlig aus den Fugen. Er wagt in seinem Romandebut einen gefährlich hohen Ton, der anfänglich noch durchaus gefällig im Ohr klingt, der aber mit fortschreitender penetranter Anwendung zu einem zuckersüßen Kreischen mutiert. Man ist hin und her gerissen zwischen dem Ärger über die klischéehafte Schilderung des Künstlerdaseins und dem Zauber der Tellkampschen Zwischentöne, die dem Leser zu Beginn noch wohlig den Solarplexus zu kraulen imstande sind. So hätte man es gern, weiss aber, das es nicht sein kann. Wenn man so empfindet, ahnt man, was man vor sich hat: nämlich Kitsch. Im Tellkampschen Falle natürlich Edelkitsch, denn kunst-handwerklich ist der Autor tatsächlich so gut, dass er sich von sich selbst, begeistert von seinen an romantischen Vorbildern geschulten weitschweifigen Formulierungen, aus der Geschmackskurve tragen lässt. Befremdend ist auch der offensichtliche Gegensatz zwischen der überbordenden Tellkampschen Sprache und den wiederkehrenden Verweisen innerhalb der Handlung auf die japanische Literatur, die ja im Gegenteil wie kaum eine andere in der Lage ist, mit wenigen Worten präzise Bilder zu produzieren. Verse des Dichters Tairo sind denn auch dem „Hecht“ vorangestellt: „Die Sonne im Auge des Falken/der zurückkehrt auf meine Hand.“ Hierauf ließe sich tatsächlich Tellkamps ganzer fast 160 Seiten langer Roman reduzieren. Dessen Leitthema, die uneingestandene Liebe zwischen Sophie und Florian, hätte denn auch einen wesentlich transparenteren, schwebenderen Stil verdient gehabt als die schwerverdauliche und detailversessene sauce précieuse, mit der Tellkamp es übergießt, dabei auch noch stets Leichtigkeit behauptend. Als ob ein tonnenschwerer Konzertflügel zu schweben begänne, bände man Bündel von heliumbefüllten Ballonen an seinen unverrückbar scheinenden Körper - um einmal in der Bildersprache des Autors zu bleiben. Etwas Lokalkolorit kommt mitunter durch sächsisch gefärbte Dialogeinsprengsel in die Handlung, was den betreffenden Passagen etwas von ihrer Bedeutungsschwangerschaft zu nehmen imstande ist, freilich ohne die allgegenwärtige Ebene fein gedrechselter Platitüden zu verlassen. Und wenn Tellkamp dann manchmal plötzlich doch für zwei, drei Sätze eine authentische Sprache zu finden scheint, in der so profane Vokabeln wie „Bockmist“ und „zieht euch ΄n Video ΄rein“ ihren Platz finden, wirken ausgerechnet sie in dem sie umgebenden Sumpf von stilistischer Manieriertheit wie deplacierte Fremdkörper. Nur ganz selten, etwa in einem kleinen Abschnitt über die Besuche der Künstler im Salon der blinden Physiotherapeutin Nora, finden Form, Inhalt und Stil zusammen und lassen Tellkamps literarisches Talent plötzlich klar hervortreten. Die zugrundeliegende Geschichte reichte vielleicht aus für eine zwanzig, dreißig Seiten umfassende kleine Erzählung, die mit leicht ironisierendem Unterton daherkäme und etwas liebevoll-sympathisches hätte haben können. Serviert bekommt der Leser die vielfache artifiziell-verspielte Menge, die obendrein mit jeder Formulierung unterstreicht, wie ernst sie sich nimmt. Das gibt dem „Hecht“ mitunter etwas unfreiwillig Komisches, vor allem in den eingestreuten kursiv gesetzten lyrischen Passagen, die wohl Florians poetisches Schaffen vorstellen sollen und selten mehr sind als eine versehentliche Rilke-Parodie. Abschließend muss man dem kleinen Roman wohl leider das Prädikat „schwer erträglich“ verleihen.

[*] Diese Rezension schrieb: Marcus Neuert (2010-07-06)

Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.


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