Susanna Tamaro, 1957 in Triest geboren und dort aufgewachsen, lebt heute als Schriftstellerin und Regisseurin in Rom und Orvieto. Sie hat zahllose berühmt gewordene Bücher geschrieben, in denen ihre ganz besondere Sensibilität und Spiritualität immer wieder eine große Rolle spielen.
Insbesondere in Italien ist sie dafür immer wieder kritisiert und belächelt worden, doch das hat sie nicht davon abgehalten, immer ihren eigenen persönlichen und künstlerischen Weg zu gehen. Schon 1994 und 1999 hatte sie in zwei autobiographischen Büchern aus ihrem Leben erzählt insbesondere wie sie zum Schreiben kam (Die Demut des Blicks, Diogenes 1995 und: Heimwege, Pattloch 2000).
Nun geht sie in einem dritten autobiographischen Werk weit zurück in ihre Kindheit. Sie ist als Kind hoch sensibel, extrem schüchtern und ist hineingeboren in eine Familie, die nichts von ihr wissen will und von der sie auf alle Zeiten nichts erwarten kann. Vom Bruder sadistisch gequält und von den intellektuellen Eltern mehr als vernachlässigt, muss sie allein zurechtkommen und wird schon sehr früh regelrecht überwältigt von einen Gefühl, das sie erst später in Worte fassen kann und von dem sie nie mehr aufhören wird zu erzählen: dem tiefen Mitleid mit allen Geschöpfen dieser Welt, die sie als Mitgeschöpfe aus der Hand Gottes wahrnimmt.
Doch dieses Gefühl droht sie schon früh zu vernichten:
„Weil ich mit dem Feind in mir lebe, mit dem Nebel, der Nacht, der Verwirrung. Weil ich den Schmerz sehe und nichts dagegen tun kann. Weil ich das Unvollkommene sehe, die Leere, das Scheitern, und deren Sinn nicht begreife. Weil ich allein bin, weil mir keiner zuhört, mich niemand an der Hand nimmt. Weil ich irgendwo in mir eine immense Harmonie und ein immenses Licht erahne, und ich mich von diesem Licht und dieser Harmonie entferne wie ein Schiff, das in See sticht. Was zu Anfang der Sinn jedes Atemzugs war, wird mit der Zeit zum Blinken eines Leuchtturms in der Ferne. Ich weine, weil ich Angst habe vor der Leere und der Einsamkeit, die mich erwarten.“
“Ein jeder Engel ist schrecklich” erzählt auch die Geschichte davon, wie Susanna Tamaro trotzdem zum Schreiben gekommen ist, einer Tätigkeit, der sie mit der “Langsamkeit und Sorgfalt des Entomologen” nachgeht. Hauptsächlich aber geht es in diesem Buch um das Wunder, wie ein sensibles Kind mitten in einem lieblosen und unbarmherzigen Umfeld sich zu einem Menschen entwickelt, der immer den Punkt zu entdecken versucht, “an dem sich das Dunkel mysteriöserweise in Licht verwandelt.”
In einer dichten und dennoch einfachen und eindrücklichen Sprache schreibt Susanna Tamaro, ein Stil, der auch ihre anderen Romane schon ausgezeichnet hat. Man mag ihr das engelsgleiche Bild, das sie manchmal von sich zeichnet, verzeihen, deutet sie doch, Rilke im Titel zitierend, an, dass Engel auch schrecklich sind, bzw. dass das Schöne immer nur die gerade noch erträgliche Vorstufe des Schrecklichen ist.
Susanna Tamaro, Ein jeder Engel ist schrecklich. Aus meinem Leben, Piper 2014, ISBN 978-3-492-05609-0
[*] Diese Rezension schrieb: Winfried Stanzick (2015-01-08)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.