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Italo Svevo - Kurze sentimentale Reise
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Svevo, Italo:
Kurze sentimentale Reise

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(Bücher frei Haus)

Die Geschichte spielt in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Wie der Autor selbst ist Herr Aghios kränklich, und auch ihn hat die emsige Fürsorge der Familie zu einem etwas unselbständigen Wesen gemacht. Nun geht Herr Aghios noch einmal allein auf große Fahrt – groß für seine jetzigen Verhältnisse. Er soll persönlich einen hohen Geldbetrag von Mailand nach Triest bringen. Es wird auch ein Test sein, ob er noch zum selbständigen Leben fähig ist.

Die Reise beginnt am Mailänder Hauptbahnhof. Herr Aghios hat es eilig, die Gattin im Gedränge des Bahnsteigs entschwinden zu sehen – so groß ist sein Bedürfnis nach Autonomie. Als er ihrer noch einmal ansichtig wird, presst sie gerade die Hand auf ihr Herz und winkt ihm zu. Er denkt erst: Was für eine übertriebene Geste, bevor er begreift: Sie meint ja die Brieftasche. Bald darauf stellt er für sich fest: „Je mehr ich mich von ihr entferne, desto mehr liebe ich sie.“

Herr Aghios und die Frauen: Freude und Hoffnung! Lassen wir ihn durch Svevo zu Wort kommen: „Diese Freude und Hoffnung war so umfassend, dass die Frau – die Frau als Vorstellung, die Frau ohne Beine und Mund sozusagen – darin nicht fehlen konnte. Schattenhaft war sie noch mit vielen anderen Phantomen verwoben und nahm unter ihnen einen wichtigen Platz ein. Aber man begehrt ja eine Frau nicht immer in der gleichen Weise. Gewiss dient sie vor allem der Liebe, manchmal aber auch begehrt man sie, um sie zu beschützen und zu retten. Sie ist ein schönes, aber auch ein schwaches Lebewesen, das man liebkost, wenn man kann, und auch dann noch liebkost, wenn man es nicht kann.“ Hier, bei dieser treffenden Charakterisierung von Alterserotik, bemerken wir bereits die Methode: Svevo und Herr Aghios ironisieren sich gegenseitig in einem langen inneren Monolog.

Herr Aghios lamentiert darüber, dass man die schönen jungen Frauen schon mit einem gut geölten Schnurrbart für sich gewinnen kann – wenn man jung ist. Dabei sei es doch wissenschaftlich erwiesen, dass die alten Männer dieser Frauen viel mehr bedürften als die jungen: eine Frage der Gesundheit. Apropos Schnurrbart: „Der Schnurrbart zeichnet jene Tiere aus, die sich in Löchern vergraben (hatte diese Kanaille von seinem Sohn erklärt); er dient dazu, sie darauf aufmerksam zu machen, wenn das Loch sich verengt, und soll sie davor schützen, zu ersticken.“

Der alte Herr reflektiert seine Umgebung, vor allem seine Mitreisenden. Mit einigen kommt er in nähere Berührung. Ein in Geschäften reisender Kaufmann, Inspektor einer Versicherungsgesellschaft, wird ihm bald verhasst. Sie geraten beide in ihrem leicht absurden Alltagsgespräch auf eine abschüssige Bahn, torkeln, schlagen verbal um sich. Herr Aghios denkt mit Svevos Kopf, der zugleich sich selbst im Blick hat: „Wenn er Streit wollte, wäre es nicht nötig gewesen, der eigenen Familie zu entfliehen.“

Viel erfreulicher gestaltet sich der Kontakt zu dem jungen Bacis. Freilich ist Bacis in großen Nöten, die Herrn Aghios erst nach und nach offenbart werden und dem Leser hier einmal gar nicht. Die beiden müssen in Venedig umsteigen und vertreiben sich die Zeit mit einer sehr komischen touristischen Erkundung der Lagunenstadt. Bacis stürzt schon beim Einsteigen in die Gondel. Herr Aghios besucht einen Juwelier, der ihn früher einmal übers Ohr gehauen hat, und der Gondoliere weiß auch, wie er den alten Mann rupfen kann.

Herr Aghios und Bacis nehmen den Nachtzug nach Nordosten. Herr Aghios hat einen Traum, in dem er zum Mars fliegt und in dem die „Aufrichtigkeit des Fleisches“ eine wesentliche Rolle spielt. Und am anderen Morgen ist Bacis weg und die Brieftasche – nein, sie ist noch da, nur wesentlich erleichtert. Auch Bacis war eine Kanaille. „Adieu, Freiheitsgefühl des Reisens, adieu, Bereitschaft zur Güte. Er glich einer jener Gestalten, zu denen sich die schwarzen und drohenden Rauchwolken so eindrucksvoll verdichten …“

Die Lokomotive läuft keuchend im Triester Bahnhof ein, und mitten im Wort Triest bricht der Text ab. Er wurde zu Svevos Lebzeiten nie veröffentlicht, ist Fragment geblieben. So erklärt sich auch, warum in ihm die Sonne an einem Abend zweimal untergeht. Svevo, der drei Jahre nach der Niederschrift durch einen Autounfall umkam, war bei der Korrektur nur bis zur Mitte gekommen. Wie eben die meisten von uns in ihren Angelegenheiten.

[*] Diese Rezension schrieb: Arno Abendschön (2011-06-07)

Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.


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