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Rezensionen


 
Alain Claude Sulzer - Basel
Buchinformation
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Sulzer, Alain Claude:
Basel

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(Bücher frei Haus)

Zitat:

Nicht einmal das Münster mit seiner neuen Orgel habe ich betreten, wo Erasmus liegt, auch den angrenzenden Kreuzgang nicht, wo eine steinerne Grabplatte an Thomas Platter erinnert ... Basel und seine Autoren (Erasmus von Rotterdam, Johann Peter Hebel, Friedrich Nietzsche, Dieter Forte, der hier seit Jahrzehnten so unauffällig lebt, dass kaum jemand davon Kenntnis hat) wären ein ganzes Kapitel wert. Kaum geöffnet, schließe ich es schon wieder, um Albert N. Debrunners „Literarischen Spaziergängen durch Basel“ das Feld zu überlassen ... Über Plätze sollte man schlendern, die bislang nicht einmal genannt wurden, über den Petersplatz etwa, über den nahe gelegenen Andreasplatz oder den Leonhardskirchplatz, von dem aus man ins ehemalige Untersuchungsgefängnis Lohnhof gelangt, das innerhalb seiner Mauern heute das Restaurant und Hotel Au Violon beherbergt ...

Eine Zitatcollage, entnommen dem letzten Kapitel, „Mängelliste“, das alles schnell doch noch ansprechen möchte, was im Buch nicht vorgekommen war. Aber ein Buch über Basel ohne all dies! Ohne eine Empfehlung an den Gast, dem Geist dieses Ortes in den kleinen Straßen Gemsberg, Heuberg, Spalenberg und Nadelberg nachzuforschen! Geht das denn?

Der Hoffmann & Campe Verlag, Teil der Hamburger Ganske Verlagsgruppe, in der auch die Zeitschrift „Merian“ herauskommt, ist auf die Idee zu einer kleinen Buchreihe gekommen, wie sie im Lauf der Zeiten immer wieder mal irgendwo auftaucht in der weiten Welt der Bücher, aber doch nie wirklich reüssieren kann. Bekannte Schriftsteller und Literaten porträtieren die Stadt oder Region, in der sie leben und sich also bestens auskennen. Kleine Umschau-Büchlein, aber nur Text, keine Fotobände, keine Anekdotensammlungen, keine Reiseführer.

Alain Claude Sulzer wird, seinen welschen Vornamen und dem Umstand zuliebe, dass die Familie schon Jahrzehnte ein Haus im elsässischen Pfirt besitzt, also von Basel nicht eben weit entfernt, dicht dran an der Schweiz, gern als Halb-Franzose unter den deutschen Autoren geführt. Dazu kommt, dass seine historische Kriminalromanze „Ein perfekter Kellner“ (2004) viel weniger in Deutschland als in Frankreich ein Bestseller und Fernsehthema gewesen ist. Allerdings bekam Sulzer diese Vornamen von einer durchaus schweizerischen, wenn auch französisch-schweizerischen Mutter. Einen „Halb-Berliner“ könnte man ihn sogar nennen. Dort hat der ausgebildete Bibliothekar viele Jahre gelebt und gearbeitet.

Geboren wurde Alain Claude Sulzer in Riehen, der noch zum Stadt-Kanton gehörenden und mit der Großstadt beinahe zusammengewachsenen Vorortgemeine Basels, nördlich vom Rhein, wo sich heute die renommierte Kunstsammlung Fondation Beyeler befindet. Die kommt in dieser Baselbeschreibung dann auch vor. Vor allem jedoch geht Sulzer im Riehen-Kapitel der literarischen Zuspitzung seiner Kindertage nach. Damals seien vom Hufschmied noch die Fuhrwerkspferde beschlagen worden, die Supermärkte der beiden größten Schweizer Handelsketten hätten das halbe Dorfzentrum noch nicht platt gemacht gehabt. (An so einem Kahlschlag würde kaum einer denken, der gleich nebenan beim Kunsttempel aus der Tram aussteigt.) Für den kleinen Alain Claude habe sich die Sehnsucht, vom Land endlich weg und in die Freiheit der Großstadt zu gelangen, mit dem Kreischen dieses grünen Sechser-Trams hinaus nach Basel verbunden.

Gemach, gemach, möchte man als Ortskundiger da ausrufen. Immerhin sprechen wir von den sechziger Jahren und war das Dorf dazumal schon die geballteste Millionärssiedlung der Nordwestschweiz, hätte der Knabe Alain nur den ruhigen Spazierweg am Flüsschen Wiese entlang radeln oder spazieren brauchen, in mehr oder weniger einer guten, je nach Fortbewegungsart, Stunde wäre er da gewesen: im mondänen Basel.

Angenehm zu lesen und feuilletonistisch professionell gemacht ist das Bändchen schon, bestreiten lässt sich das nicht. So als Mitbringsel für jemand, der einen in Basel mal getroffen hat. Vielleicht gelingt es sogar, den einen oder anderen Ortsunkundigen auf die, in Relation zu ihrer Lebensqualität oft etwas zu tief eingestufte Humanisten-, Museen- und Beizenstadt gespannt zu machen, die nun mal mit etwas mehr Charme und Urbanität als Sindelfingen, Gießen, Pirmasens, Schweinfurt oder Eisenhüttenstadt dienen kann. Die von Rezensenten gelegentlich gelobte besondere Eleganz der Sulzer’schen Sprache konnte ich nicht ausmachen. Schludrigkeiten wie diese halten sich in Grenzen:

Zitat:

Auch Paul Sacher gehört dazu, wobei er über die Grenzen Basels hinaus zum Synonym des Kulturmäzens wurde, was zum einen mit seiner schillernden Persönlichkeit, zum andern mit den Komponisten zu tun hat, die in den Genuss seiner Wohltaten kamen, deren Namen (Strawinsky, Martinu, Bartók, Henze - um nur drei von unzählig vielen zu nennen) wir noch heute täglich weltweit in Konzertsälen, auf CDs und im Rundfunk begegnen.

Es mag sein, dass Herr Sulzer täglich in Konzertsälen zahlreichen Namen begegnet, wir in seinem Buch leider diesen nicht: Hans Holbein d.J., Matthäus Merian, Hermann Hesse, Friedrich Dürrenmatt, Werner Düggelin, Rainer Brambach, Ulrich Becher, Alfred Rasser, Fred Spillmann, Georg Kreisler, Heidi Abel, Urs Widmer, Jörg Läderach, Rolf Hochhuth, Zoe Jenny. Immerhin kommen „Läckerli Huus“ und „Zolli“ (Zoologischer Garten) und die legendäre Fasnacht tatsächlich drin vor.

Dem kulturellen Engagement der im Chemiekonzern Hoffmann-La Roche vereinigten Familien, zu denen, eingeheiratet, auch der erwähnte Dirigent Sacher gehörte, widmet Sulzer im schmalen Band überraschend viel Raum. Der andere weltumspannende Chemieriese, Novartis, hervorgegangen aus Ciba und Geigy, wird auch brav gelobt: Was da an Architekturpark auf ehemaligem Werksgelände entstanden sei, sei formidabel. Kann man sicher so sehen, aber da weitab gelegen und umständlich zu erreichen, dürfte diese Sehenswürdigkeit in der mit modernen Architekturdenkmalen keineswegs schlecht versorgten Stadt nicht wirklich an erster Stelle der Besuchsprogramme stehen.

Sehr gern geht Sulzer gepflegt, doch nicht hochgestochen, essen und trinkt gute Weine dazu. Vor dem Preis-Leistungsverhältnis der Schweizer Gastronomen warnt er uns, rührt aber laut die Werbetrommel für einige Landgasthöfe im benachbarten badischen Markgräfler Land. Ganz bestimmt werden diese es sich mit hoher Qualität und angenehmem Service verdient haben ... Aber eigentlich wollten wir doch über die Stadt Basel, ihre Bewohner und deren Geschichte etwas erzählt bekommen.

Leicht kurios wird’s gegen Ende, wenn der ob einer gewissen Provinzialität Basels leicht verstimmte Alain Claude Sulzer (nahezu unmöglich sei es, nach 22.45 Uhr in der Altstadt noch ein warmes Gericht zu erhalten) sich nach Basels „Kiez“ umsieht und genau dort fündig wird, wo er selber seine Stadtwohnung hat, nämlich im Kleinbasel (der Artikel im in muss sein, sonst ist man Ortsunkundiger). Das wenig auffällige und ganz bieder erscheinende Viertel vereine die Ateliers mehrerer Künstler (in ehemaligen Handwerksbetrieben) und die Auffangeinrichtungen für Wohnsitzlose, Verarmte und Substanzabhängige. Habe aber auch einige der unverfälschtesten Abendlokale der kleinen Großstadt.

Sulzer nennt ihre Namen und da fällt auf, dass er, der im „Kellner“ doch von einer homosexuellen Liebesgeschichte erzählt hatte und seither von den schwulen Buchläden als einer der bedeutendsten lebenden Autoren deutscher Zunge verkauft wird, anscheinend übersehen hat, dass im Kleinbasel auch das Basler schwule Bermudadreieck ist. Lag’s daran, dass für die bürgerlichen Käufer, auf die Hoffmann & Campe mit seiner Städtereihe zielt, diese Art Kneipe zu wenig seriös gewirkt hätte? Immerhin kommen die nur ein paar Schritte weiter entfernten (raren) Barbusenschuppen Basels ja auch nicht vor.

[*] Diese Rezension schrieb: Klaus Mattes (2014-11-28)

Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.


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