„Die Disponibilität der Ressourcen schafft die Ästhetik einer jeden Bewegung.“ Viel mehr als das „absichtlich gemachte“ Design entscheidet die Verfügbarkeit von Mitteln (Ressourcen) über deren visuelle Darstellungsfähigkeit und –machbarkeiten. Die Ästhetik des Punk wurde stark von der Verfügbarkeit von billigen Kopiermaschinen geprägt. Flugblätter mussten nicht mehr mühselig von Hand gesetzt werden, sondern wurden einfach auf der Schreibmaschine geschrieben und im nächsten Copyshop massenhaft vervielfältigt. Ähnlich verhält es sich wohl mit der Kleidung, der Musik und wohl auch den von dieser Bewegung benutzten Drogen. Das Sein schafft das Bewusstsein und eben nicht umgekehrt. So weit der Ressource Mobilzation Ansatz, der sehr viel mit Punk im Allgemeinen und mit diesem Buch im Besonderen zu tun hat.
„Ekelhaft, erniedrigend, grässlich, lüstern, voyeuristisch und widerlich...Bei den meisten dieser Gruppen wäre es am besten, wenn sie ganz verschwinden würden.“ Mit diesen Worten beurteilte ein Mitglied der Londoner Stadtverwaltung, Bernard Brook Partridge, noch 1976, quasi am Vorabend der PUNK-Revolution, die heraufdäuende Punkbewegung. Heute würde sich wohl nicht einmal der Londoner Bürgermeister - geschweige denn der Premierminister - selbst zu solchen Worten hinreißen lassen, ist doch Punkmusik mithin ein Grund, warum viele Touristen nach London kommen und somit auch zu einem starken Wirtschaftsfaktor geworden. Die Sex Pistols haben EMI wohl mehr Geld gebracht, als alle Bands zuvor und das britische Königreich hat an den Steuern darauf wohl auch kräftig mitverdient. Vor allen Dingen darf man aber eines nicht vergessen: hätte es Punkmusik nicht gegeben, wohin wäre dann all die destruktive Aggression abgeleitet worden?
Der Wirtschaftsfaktor PUNK brachte die jungen Leute nämlich - entgegen bisheriger Vermutungen - nicht etwa auf die Straßen, sondern von den Straßen weg. Und siehe da: ein neues Wirtschaftswunder war geboren und sogar die Arbeitslosigkeit schien besiegt. Ein herzliches „Danke!“ also an „Punk“, der letztlich mehr zum Erhalt des Systems als zu dessen Zerstörung beigetragen hat. Man denke nur an Vivienne Westwood, Malcolm McLaren, PIL, etc., heute alles markttaugliche und noch dazu kräftige Marken. „In einem Moment waren wir linkische, dämliche Jugendliche, im nächsten waren wir Helden unserer Heimatstadt mit vielen tiefschürfenden Zeitungsartikeln über uns.“, meinte Andy Blade, Sänger von Eater in „A Diary of the Punk Years“ und drückt damit genau das aus, was uns heute so einleuchtend erscheint: eine Umarmung ist mehr Ausdruck des jemanden Ersticken-Wollens, als eine Manifestation von bloßer Freude oder Zuneigung. Die Musikindustrie lässt grüßen...sie umarmt immer wieder mit jener Liebe, die Zuneigung vorgibt und Erstickung will. Eine Bewegung ist dann tot, wenn sie nur mehr „Produkte“ (Tonträger und Shops mit Punkkleidung, Bücher et al) hervorbringt und keine anderen Manifestationen mehr. Sollte der Ressource Mobilization Ansatz also Recht behalten, war Punk von vornherein eine Totgeburt, denn er wurde noch dazu in einem Geschäft, in Malcolm McLarens „SEX“-Shop, aus der Taufe gehoben.
Anfangs sei die Stimmung aber durchwegs positiv gewesen, schreibt etwa Caroline Coon, mithin eine der schönsten Aktivistinnen der Bewegung und lautere Journalistin, in vorliegender Luxusausgabe zur Geschichte der PUNK-Bewegung. „Die Amerikaner beeinflussten die britischen Kids negativ. Sie waren älter und stammten aus der Mittelklasse. Sie konnten es sich leisten destruktiv und nihilistisch zu sein, weil sie immer in den sichren Schoß ihrer Mitteklasse-Familien zurückkehren konnten. Die britischen Kids waren empfänglich für den üblen Einfluss, obwohl es für sie durchaus positivere Aussichten gab. Ursprünglich lehnte man auch Drogen ab, weil sie zu sehr an Hippies erinnerten. Diese Leute waren auf dem Weg des Wandels, aber nicht zum Besseren.“
Man sollte als bei all den Betrachtungen und der Nostalgie dreißig Jahre nach Punk auch nicht vergessen, welche positive Aufbruchstimmung sich damals breit gemacht hatte und, dass die ideologische Grundlage des „Do-it-yourself!“ ja durchaus auch heute noch seine Berechtigung hat, gerade im Zeitalter der absoluten Massenberieselung durch Internet und TV sollte man dieser Revolte, dem Punk, gedenken, als jener Ära in der Menschheitsgeschichte, in der der Aufstand gegen „die Maschine“ noch möglich war. Heute sind wir alle von ihr versklavt und es regt sich kein Funken Widerstand mehr. Oder doch?
Zum ersten Mal im deutschen Sprachraum werden in diesem opulenten Bildband PUNK, der nun auch im handlichen Softcover erschienen ist, die Jahre 1976-1979, dem Höhepunkt des Punk, ausführlich und den neuesten ästhetischen Ansprüchen der heutigen Jugend entsprechend gewürdigt. Es wurden vor allem ProtagonistInnen der damaligen Bewegung um Wort- und Bildspenden gebeten und die Antworten fielen sehr umfangreich aus. Sowohl die Sex Pistols, The Clash, The Ramones, Siouxie and the Banshees, aber auch Vivienne Westwood, Andy Warhol und viele andere kommen zu Wort und werden dazu auch noch richtig ins Bild gerückt. Zahlreiche, zum Teil noch nie veröffentlichte Bilder, machen aus PUNK ein Buch der Superlative des aufgeklärten Geschmacks. Am Ende fasst das Buch noch ein paar Zitate zusammen: „Das Beste und das Schlimmste am Punk“ oder „Das Erbe“. In letzterem Kontext findet sich auch ein Foto von Topmodel Giselle in lüsterner Pose, bekleidet mit einem Sid Vicious-T-Shirt: Das also ist aus Punk geworden. Zweifellos ist das Anliegen der Autoren, Punk auch mit seinen Vorläufern (Velvet Underground, MC5, Iggy) und Nachfolgern (etwa Hip Hop) darzustellen hoch zu bewerten und man merkt auch, dass die beiden ihr Herz tatsächlich bei der Sache hatten. „Wir stellten dieses Buch mit einem einzigen Ziel zusammen: den Geist und die Haltung jener Zeit zu verdeutlichen“, schreiben sie in ihrem Nachwort und das ist ihnen ohne Zweifel auch gelungen. Und noch etwas schreiben sie, was auch ich persönlich für ganz wichtig halte: Punk hat die rigiden Klassengrenzen des britischen Königreiches aufgebrochen und London in den 80ern und 90ern zu einer der hippsten und multikulturellsten Städte der Welt werden lassen. Ein herzliches „Danke!“ also noch mal an PUNK und auch an die Ermahnung, dass man die Dinge herausfordern muss, um sie zu ändern...
Chris Sullivan veranstaltete während seines Studiums an der St. Martin School of Art in London eine der ersten Warehouse-Partys und wurde Manager von diversen Londoner Clubs. Später stellte der Frontmann von Blue Rondo à la Turk seine Gemälde aus, führte Regie von Pop-Promos und Modeshows, kreierte Kleider für Popstars wie Adam Ant, Spandau Ballet und Madness und wurde Moderdakteur für GQ. Seit 1999 ist er frei schaffender Autor - seine Beiträge sind in The Face. Loaded, The Independant und The Times erschienen. Steven Colgraves lebenslange Punk-Obsession begann 1976. Während seines Studiums an der London University spielte er in diversen Punk-Gruppen, wurde süchtig nach Bondage-Kleidung und verkaufte 18.000 Bakelit-Telefone. Mit seiner eigenen Produktionsfirma wurde er Filmproduzent und schließlich Marketing Direktor für Europa von der Werbeagentur Saatchi & Saatchi.
Das Format dieses ästhetischen Bilder- und Zitate-Reigens ist 27,1 x 29 cm, also etwas kleiner als eine 12“, aber die wurden ja erst nach Punk erfunden. War nicht „This is not a love song“ die erste 12“? Hatte Johnny Lydon aka Rotten auch diesen Trend begründet, nämlich das was zu sagen resp. zu besingen ist, von einer 7“ auf eine 12“ auszudehnen? Womit wir wieder beim „Ressource Mobilization“-Ansatz wären...
Aus dem Englischen übersetzt von Christine Gsänger, Toni Neuner, Gabriele Lehari und Renate Weinberger