Passend zu den Bundestagswahlen im September erschien im Februar 2009 ein weiteres Buch, um die politischen Perspektiven des Landes zu erörtern. Der Politredakteur von Welt, Welt am Sonntag und Berliner Morgenpost, Daniel Friedrich Sturm, wählte für sich dabei ein Thema, das mit der im Titel gestellten Frage Wohin geht die SPD? sogleich eine sehr hohe Erwartungshaltung weckt. Geht es doch darum zu sondieren, welche politische Zukunft die mit Abstand älteste existierende politische Partei Deutschlands erwartet und wie sie sich entwickeln wird. Der Umfang des Buches mit 480 Seiten deutet darauf hin, dass eine gründliche Analyse beabsichtigt war.
Das Buch beginnt mit einer historischen Darstellung der Entwicklung der SPD und damit der jüngeren Geschichte der Bundesrepublik, indem die Konstellation Schröder-Lafontaine beleuchtet und der Regierungswechsel von Kohl zu Schröder beschrieben wird. Minutiös werden die Parteitage und Sitzungen, die Koalitionsverhandlungen mit den Grünen und die ersten Schritte und Fehltritte der neuen rot-grünen Regierung aneinandergereiht. Es folgen der Militäreinsatz auf dem Balkan, der Sog der Börse, die Flucht Lafontaines, der 11. September, die gerade noch einmal gelungene Wiederwahl, die schweren innerparteilichen Kämpfe, die durch Schröders Agenda 2010 ausgelöst wurden, das Nein zum Irak-Krieg, das Wahldebakel in NRW, der Vorstoß zu Neuwahlen, der Abgang Schröders zugunsten einer großen Koalition, Münteferings Aufstieg und Fall, Platzecks Zwischenspiel, Becks Aufstieg und Fall, Münteferings erneuter Aufstieg und Steinmeiers Nominierung. Das alles ist detailliert, solide und ohne Polemik. Es bleibt bei der historischen Darstellung.
Die einzige analytische Linie, die mit einer gewissen Konsistenz über das ganze Buch nach zu verfolgen ist, behandelt die SPD immanente Aporie, dass sich die Mehrheit der Mitglieder dieser Partei emotional mehr auf Seiten der Opposition zuhause fühlt und es selbst ihren erfolgreichsten Politikern krumm nimmt, wenn sie in der Regierungsverantwortung gestalten. Auf den letzten wenigen Seiten werden dann drei Szenarien entworfen, wie es nach der Bundestagswahl weiter gehen könnte: Große Koalition, Ampel oder Jamaika.
Betrachtet man sich nach der Lektüre noch einmal den Titel, so stellt man sehr schnell fest: Thema verfehlt. Zwar hat man kein schlechtes Buch gelesen und noch einmal sehr komprimiert erfahren, was in den letzten 11 Jahren passiert ist, aber die große Frage wurde nicht beantwortet. Wäre der Titel ernst gemeint, so hätte man mehr Analyse erwarten können, die sich auseinandergesetzt hätte mit dem Politikverständnis der Partei, mit ihrem Menschenbild, mit ihrem Entwurf eines Gesellschaftsmodells für das 21. Jahrhundert, mit ihrem Selbstverständnis und ihrer Mitgliederstruktur. Nichts von dem findet in dem Buch statt. Es ist die grundsolide Arbeit eines Analysten, aber eben keines Analytikers. Aber es regt durchaus an, seinen eigenen Verstand zu benutzen.
[*] Diese Rezension schrieb: Gerhard Mersmann (2009-08-11)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.