Bei Kriegsbeginn in der Ukraine, im Frühjahr 2022, veröffentlichte Marlene Streeruwitz ihr "Handbuch gegen den Krieg" und löste damit Fragen nach Leben, Demokratie und Frieden aus. Warum werden Menschen ermordet und Städte zerstört? Im 2024 erschienen "Handbuch für die Liebe" versucht sie diese Fragen neu zu beantworten. Denn eines ist gewiss: Liebe ist das Gegenteil von Krieg, Krieg das Gegenteil von Liebe.
Liebe als Antidot und Antitod
Patriarchat, Psychose, Vergangenheit und Gegenwart, Krieg und Frieden sind die Themen von Marlene Streeruwitz, die man auch aus ihren Romanen kennt. Aber im Handbuch für die Liebe macht sie sich nur kurze Gedanken, kleine Absätze oder in "Einseitern" Gedanken über mögliche Fluchtwege aus dem unübersichtlichen Chaos der Gegenwart. Einer dieser Fluchtwege ist es sicherlich, einen bestimmten Menschen zu lieben. Aber "Lieben ist Besitzlosigkeit", schreibt sie, denn das Maß des Liebens ist das Glück der anderen Person. "Lieben ist selbst Sprechen ohne eine Sprechsprache. Das ist nicht Sprachlosigkeit. Im Gegenteil." Im GeliebtWerden stellt sich die Ganzheit der eigenen Person wieder her und man spiegelt sich wiederum in der liebenden Person. Streeruwitz gibt zu bedenken, dass es etwas wie Liebe vielleicht erst nach 1975 zwischen mann und Frau geben konnte, denn bis dahin gab es in Österreich den sog. "Hausvater", der die Verantwortung für alle übernahm. Die Liebe war noch nicht auf Augenhöhe, denn solange es Macht gibt, ist es keine Liebe. Streeruwitz stellt den Kosmos des Öffentlichen dem Kosmos des Privaten gegenüber. In ersterem seien aufgrund der Hierarchien nur Abhängigkeiten möglich.
Liebe: nur ein frommer Wunsch?
Auch die sog. "Romantische Liebe" hätte nach diesem Prinzip funktioniert und die Kirche gab dazu noch den Sanctus. Die Kindheit werde zum Ersatzideal der romantischen Liebe, wenn man erwachsen wird, Glaubt und Liebe müssten im Körper der gottliebenden Person in eins fallen. Die Selbstaufgabe der Person an eine Liebesphantasie sei bis heute und weiterhin ein Instrument von Politik und Marketing. "Wir sind alle Überlebende in dem immerwährende Krieg, den der Kosmos des Öffentlichen gegen das Lieben und damit gegen das Leben führt", schreibt die Autorin. Denn die Liebe würde jede/r von Anfang an "wissen". Sie sei eine Grunderfahrung aus "der allerersten Zeit unserer Existenz", der Kindheit. Und diese Liebe – jenseits von patriarchaler Besetzung und romantischen Idealen – sei zu bewahren und als Aufbruch in eine freie und demokratische Gesellschaft auszuweiten, so Marlene Streeruwitz.
Marlene Streeruwitz
Handbuch für die Liebe
2024, broschiert, 96 Seiten
ISBN: 978-3-596-71066-9
FISCHER Taschenbuch
16-€
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2024-03-11)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.