Die romantischen Seiten hätten den Mut „andere Bereiche für die Literatur zu erschließen, die jenseits des klassischen Ideals vom Guten, Schönen und wahren liegen“, schreibt die Autorin/Herausgeberin im Vorwort, „-wobei gerade das Dämonische und Abseitige, das man gern übersehen möchte, letztlich das elementare Menschliche repräsentiert“. Unheimlich Begegnungen mit Geistern, Vampiren oder bösen Meistern bis hin zum kollektiven Wahn und Weltenbrand erwarten einem in dieser sehr persönlichen Auswahl romantischer Literatur und laden zu einer oder gleich mehreren Nachtmeerfahrten, die – wie schon C.G. Jung wusste, so Stölzel – die Menschwerdung in ganz besonderem Maße ermöglichen, da gerade dieses Dunkle einen mit sich selbst konfrontiert, wie man es gerne selbst nicht besser beschreiben könnte.
Hymnen an die Nacht
Vielleicht begann alles mit Lord Byron, aus dessen Schoß ein neuer Antiheld geboren wurde, der nicht nur schön war, sondern eben auch dämonisch und geheimnisvoll, was wiederum zu erotischer Anziehung führte. Gemeinhin ging diese Form der literarischen Belustigung und Unterhaltung auch als Byronismus in die Literaturgeschichte ein, wobei das Attribut „gothic“ geradezu großzügig daruntergemischt wurde. Als „gothic“ wurde alles bezeichnet, was bizarr und ungewöhnlich, finster und geheimnisvoll war und in gewissem Sinne dem Mittelalter entsprach, indem es noch allerlei Aberglauben gab, der im 18./19. Jahrhundert ja scheinbar durch die Vernunft getilgt schien. Horace Walpole hatte bei der Interpretation dieses Begriffes eine besondere Vorbildwirkung, die auch Jahrhunderte später immer noch gerne imitiert werden (vergleiche Bilal). Den Vorläufern und der Entwicklung dieses außergewöhnlichen Genres der Literaturgeschichte widmet sich die vorliegende Publikation mit Literaturhinweisen und einigen zeitgenössischen und modernen Illustrationen zum Thema.
Hymnen auf das Dunkeln
Wichtig für die Charakterisierung des Genres „Schwarze Romantik“ war aber besonders Mario Praz: kennzeichnend ist hier das Romantische und Romantisierende, das nächtlich-Abgründige teilweise mit erotischer Anziehungskraft, sowie Religiosität der Vorväter und naives Gottvertrauen. „Der romantische Mensch scheint elementar verunsichert: Weder kann er den heidnischen Mythen und Überlieferungen trauen (…) noch wirken die offiziellen Vertreter des Christentums sonderlich vertrauenserweckend“, schreibt Stölzel. So kann die schwarze Romantik mithin vielleicht auch als „Krise des Glaubens“ eingeordnet werden. „Ich fühle des Todes/Verjüngende Flut,/Zu Balsam und Äther/Verwandelt mein Blut - /Ich lebe bei Tage/ Voll Glauben und Mut/ Und sterbe die Nächte/ In heiliger Glut“, dichtete einst Novalis in seinen „Hymnen an die Nacht“.
Simone Stölzel
Nachtmeerfahrten
Die dunkle Seite der Romantik
375 Seitenanzahl
Buchkünstlerin: Cosima Schneider; Limitierte Ausgabe; zweifarbig gedruckt auf geglättetem, holzfreiem Designpapier; farbiges Vor- und Nachsatzpapier; gebunden in rotes Comtesse-Leinen mit einer Linienprägung; geprägtes Etikett, Fadenheftung und Lesebändchen.
ISBN: 9783847703389
36,00 EUR
Die Andere Bibliothek
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2014-12-10)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.