Dirk Stermann - Mir geht's gut, wenn nicht heute, dann morgen
Buchinformation
Mittwochs bei Erika. Der seit Jahrzehnten in Wien lebende deutsche Kabarettist und Moderator Dirk Stermann durfte in den Jahren der Pandemie Erika Freeman im Hotel Imperial besuchen. Jeden Mittwoch. Die international bekannte Psychoanalytikerin war dort gestrandet und empfing ihren jungen Verehrer mit Kipferln und Shampooproben.
Weltberühmt in den USA und nun auch in Wien
"Erfolg im Leben zu haben bedeutet, viel zu lachen, die Liebe von Kindern zu gewinnen, den Verrat falscher Freunde zu ertragen, die Welt zu einem ein klein wenig besseren Ort zu machen, als sie es war, bevor wir in sie geboren wurden. Zu wissen, das ein Leben leichter atmet, seit du lebst. Das ist Erfolg." Jahrgang 1927 musste sie im Alter von 12 Jahren vor den Nazis nach New York fliehen. Ihre Eltern hatte diese Flucht zu Verwandten organisiert, blieben aber selbst in Wien. Jahrzehnte später traf ihr Onkel ihren totgeglaubten Vater auf dem Broadway in New York. Der Zufall wollte es so und Wunder geschehen eben doch. Ihre Mutter überlebte den Krieg leider nicht. Die beispiellose Karriere die die Halbwaise Erika hinlegte ist unvergleichbar. An der Columbia University, wo sie Psychologie studierte, traf sie den ebenfalls aus Wien geflohenen Psychoanalytiker und Freudschüler Theodor Reik. Später beriet sie Politiker wie die ehemalige israelische Ministerpräsidentin Golda Meir oder unterstützte Hollywoodlegenden wie etwa Marilyn Monroe, Marlon Brando oder Woody Allen. Bald wurde sie selbst zum Star, denn die US-Talkshows liebten die beredte und unterhaltsame Analytikerin aus dem fernen Wien. Barbara Streisand hatte in Yentl ihre Mutter gespielt. Als sie ihre Verbindungen zur alten Heimat wieder aufnimmt wird sie vorerst nicht willkommen geheißen, aber 2017 erhielt sie endlich die Ehrung die sie längst verdient hatte: das Österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst und 2022 die Doppelstaatsbürgerschaft Österreich und USA. Eigentlich eher eine Ehre für Österreich als für sie, denn sie hat sicherlich viel zu einer positiveren Wahrnehmung Österreichs im Ausland beigetragen.
Jüdischer Humor und Wiener Schmäh
Dirk Sterman lernte sie in seiner Talkshow «Willkommen, Österreich» kennen und lieben, denn sie verzauberte mit ihrem Charme und Humor nicht nur ihre Gastgeber, sondern die ganze Nation. Die inzwischen 95 Jahre alt gewordene Dame plaudert mit ihrem Biographen über Gott und die Welt und vergisst trotz des teilweise schweren Inhalts nie auf ihren Humor. Denn Lachen - so ist sie überzeugt - hält jung und dafür ist sie selbst ja auch das beste Beispiel. Tikun olam ist hebräisch und bedeutet, die Welt zu verbessern oder zu reparieren und genau das machen diese protokollierten Gespräche zwischen Stermann und Freeman. Denn sie ist keine "Kvetch" (Jammererin), ganz im Gegenteil! Sie habe Angst nicht erlernt, erzählt sie, ihre Eltern hätten ihr diese Emotion nicht beigebracht und so kam sie mit 12 in ein fremdes Land ohne ein Wort Englisch zu sprechen. Die Verwandten steckten sie bald in ein Waisenhaus und dort glaubte ihr niemand, was sich in Österreich gerade abspielte. Der Psychiater der Schule, Dr. Berres, sagte ihr sogar sie solle aufhören, solche schrecklichen Geschichten zu erfinden (!). Die unglaubliche Lebensgeschichte von Erika Freeman wird nur von ihrem Humor noch getobt, wenn sie etwa sagt: "Es gibt kein Unmöglich. Es gibt nur ein Unerwartet." Wenn sie etwa die Geschichte ihrer Tante Ruth Klüger-Aliav erzählt, stockt einem geradezu der Atem, denn sie rettete mehreren Tausend (!) Juden das Leben. "It didn't make us happy, it made us drive" sagte Ruth über die Amphetamine die sie brauchte die Rettungslastwagen zu fahren, "If you needed a miracle, just send Ruth", meint Erika. Ihr Mann, der Maler, Grafiker, Bildhauer und Kalligraf Paul Freeman starb schon mit 50. Erika dazu: "Ich könnte ihn umbringen, dass er so früh gestorben ist". Ein bißchen schaut ihm der Stermann auch ähnlich, meint sie. Eine bewundernswerte Frau, die man wünschen würde selbst zu kennen. Das vorliegende Buch ist eine gute Möglichkeit sie etwas besser kennenzulernen und sich ihr obiges Erfolgscredo selbst ein bißchen zu Herzen zu nehmen.
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2023-11-04)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.