„Meine ganze Einstellung zum Leben ist eigentlich sehr gut... – in negativem Sinne“, scherzt Chaim Lubenski im Interview vergnügt mit seiner Mutter, deren ganze Verwandtschaft im KZ umgebracht worden war. „The value of my mother still being alive surpasses all other pleasures“, setzt er in gebrochenem Englisch fort, denn Chaim hat sein Leben schon gelebt und kümmert sich jetzt 24/7 um seine Mutter. Als dann im Alter von nur 53 Jahren auch noch ihre Tochter – seine Schwester - an falsch dosierten Medikamenten starb, konnte Chaim seiner Mutter den Tod seiner Schwester nicht mitteilen und verheimlichte es ihr, um sie zu schonen, er log sie an. In Israel spricht er dann über seine Liebe zu Büchern, die er in einem Zimmer in einem Altersheim gelagert hat, bis seine Mutter dorthin umziehen würde. Doch das Klima war nichts für ihre Gesundheit und so widmete er das kleine Zimmer ganz der „Heiligkeit von Büchern“, wie es auch im Talmud heißt.
Mit Lidl-Sackerl vor der Klagemauer schwärmt er von den Gottesfürchtigen und unterhält sich vergnügt mit jedermann. Er hatte mit Levi’s Jeans ein Vermögen verdient und es mit Aktien an der Börse wieder verspielt. Aber es ist ihm egal. Er hat sein Leben gelebt. „Ob ich mit Geld lebe oder ohne Geld lebe...“...
Vom Überleben und Leben
Chaim – was auf Deutsch so viel wie „Leben“ heißt – resümiert auch über das Rauchen. Es verursache eine Indifferenz, die er brauche, um die Gesellschaft zu ertragen. Und dann habe er außerdem seinen Auftrag im Leben schon hinter sich. „Es kann sein, dass Gott meine Gebete nicht anhört, aber wenigstens habe ich eine hungrige Taube gegeben was zu essen.“, meint er und streut den städtischen Flugratten von Antwerpen Brotkrümel. Am Grab seiner Mutter gibt er Frischhaltefolie über das Kerzenhäuschen, der Interviewer erklärt aber nicht den Grund dafür, obwohl die Kamera lange drauf hält. „Der Holocaust das ist die ganze Zeit die Gegenwart.“, meint Chaim noch und widmet sich wieder der Plastikfolie.
Das pure Leben
Antwerpen, Saint Tropez, „la yiddische Mama“, das Lied von Charles Aznavour. Bevor er zum erfolgreichen Geschäftsmann in New York und professionellen Schachspieler in St. Tropez wurde, hatte Chaim Lubelski schon ein ziemlich wildes Leben geführt. Deutschland, Paris, London und Afghanistan - vom Hippiedasein bis zum Dealer - er hatte damals wirklich nichts ausgelassen, das zeigen viele Fotografien. Als seine Mutter krank wird und Hilfe benötigt, entscheidet er sich, mit 63 Jahren in Antwerpen mit ihr zusammen zu ziehen. Er opfert sich für sie mit Hingabe auf und sieht es als seine Mission an, ihren Schmerz zu vertreiben, gerade da sie eine Überlebende des Holocausts ist. Das gemeinsame Leben der beiden ist von Zärtlichkeit, liebevollen Sticheleien und Humor geprägt. Mit großer Nähe begleiteten wir ihren Alltag, teilen ihre Gedanken und ihr Lachen.
Ein bewegender Dokumentarfilm über eine faszinierende, charismatische Persönlichkeit, deren Name auch einen Wunsch beinhaltet: L'Chaim! Ein Film als ein Hoch auf das Leben
Elkan Spiller
L'Chaim!: To Life!
Darsteller: Chaim Lubelski, Nechuma Lubelski, Usher Lubelski, Shoshana Spiller, Mirsad Hadzikaric und Bernard Dukan
Deutschland, 2014, 92 min,
mindjazz pictures, Alive Media
[*] Diese Rezension schrieb: jürgen Weber (2016-07-07)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.