„Als ein Ostjude von seiner Reise nach Wien zurückkehrt, wird er gefragt, was er gesehen habe. `Den Nordbahnhof, den Praterstern und das Carltheater´. `Und die Hofburg und das Burgtheater?´ `In die äußeren Bezirke bin ich nicht gekommen.´“ Wer Wien ein bisschen kennt, wird wissen, dass die zuerst aufgeführten „Sehenswürdigkeiten“ sich in der Leopoldstadt befinden, wo sich damals wie heute das jüdische Leben Wiens abspielt.
Die „Mazzesinsel“ ist ein Teil dieses II. Gemeindbezirks von Wien, der Leopoldstadt, in der schon 1624 ein jüdisches Ghetto entstanden war und auch heute wieder Spuren jüdischer Kultur anzutreffen sind. Vor allem der Platz vor der Karmeliterkirche mit seinem Markt wird auch heute noch als Mazzesinsel bezeichnet, wobei sich die Bezeichnung auf das ungesäuerte Matze-Brot, das gläubige Juden am Pessachfest essen, bezieht und damit zum Inbegriff einer ganzen Kultur wurde.
Hier soll auch das berühmte „Bagel“, ein eher süßes Brot, entstanden sein, das manche als Steigbügelhalter, manche ganz einfach als Gebäck mit Loch sehen oder ist es gar der Vorläufer des Donuts? Das Bagel sei erstmals von einem Wiener jüdischen Bäcker zu Ehren des polnischen Königs Jan Sobieski in Form eines Steigbügels gebacken worden. Das Loch in der Mitte sollte den Transport mit einem Stab erleichtern. Der polnische König hatte Wien vor der Belagerung der Türken gerettet. Aber es muss ja auch nicht immer Bagel oder Gefilter Fisch sein! „Gefilter Fisch“, das wohl berühmteste jüdische Gericht, das auch von Sindemann erwähnt wird, kann in Wien besonders auf der Mazzesinsel genossen werden, oder sogar selber gekocht werden? Zutaten können am Karmelitermarkt etwa im „Koscher Hadar“ gekauft werden, in dem es neben Lebensmitteln auch Ritualgegenstände wie etwa Chanukka-Leuchter oder Tischdecken für bestimmte jüdische Feiertage gibt.
Das Buch von Katja Sindemann ist mehr als nur ein Kochbuch. Die Rezepte (60 Stück) bilden zwar den Aufhänger, jedoch bekommt der Leser auch einen Einblick in das Wiener jüdische Leben, einst und jetzt. Eine Besonderheit für ein Kochbuch sind sicherlich die jüdischen Witze, sowie die ausgewählten Adressen (Supermärkte, Restaurants, etc) und Literaturhinweise. Der Aufbau des Buches folgt den jüdischen Feiertagen. Nach einem historischen Abriss und der Klärung der Frage, was eigentlich koscher ist, werden die Gerichte des Schabbat beschrieben und das jüdische Jahr führt über die Rezepte bis zum Pessach und Schawuoth, dem Wochenfest, das Mitte/Ende Mai gefeiert wird. An dieser Stelle befindet sich auch das geheimnisvolle Bagel-Rezept, eigentlich ganz einfach, oder? Auch Schaschlik oder Sütlag sind jüdische Speisen, die in dieser Zeit des Jahres genossen werden und in vorliegendem Kochbuch findet man die Rezepte für einen jüdischen Alltag das ganze Jahr über. Die liebevolle Gestaltung mit Fotos der Speisen aber auch des Bezirks und natürlich die interessanten historischen Ausführungen machen diese Publikation zu einem Muss für jeden Wien-Fan und die es noch werden wollen!
Katja Sindemann
Mazzesinsel Kochbuch
Kulinarische Streifzüge durch das jüdische Wien
Mit vielen Fotos von Christine Wurnig