Dieser anspruchsvolle Entwicklungs-und Familienroman erzählt die Geschichte von Pandora, die sich vom Leben zwischen die beiden Männer gestellt sieht, die ihr wichtig sind. Da ist zum einen ihr übergewichtiger Bruder Edison, der einfach nicht aufhören kann, immer mehr zu essen, und den Pandora irgendwann bei sich zu Hause aufnimmt, weil er mit einem selbständigen Leben nicht mehr zurechtkommt.
Das genaue Gegenteil von Edison ist Pandoras Ehemann Fletcher, der radikal auf seine Fitness achtet und eine Ernährungsideologie verfolgt, die Pandora nicht nachvollziehen kann.
Auf Kosten ihre Ehe entscheidet sich Pandora dafür, ihrem Bruder zu helfen, und fängt mit ihrem Bruder unter großen äußeren und inneren Gefahren eine radikale Diät an. Immer geht es um das Essen und seine Bedeutung, das Shriver zwischen den Zeilen immer wieder in eine sehr radikale Gesellschaftskritik münden lässt. Pandora verdient mit der Herstellung von Puppen ihr Geld, die markante Sätze wiederholen und ihre Eigentümer somit immer wieder mit ihrer Persönlichkeit konfrontieren. Als sie sich selbst eine solche Puppe schenkt, spürt Pandora, dass auch für sie eine schmerzhafte Entwicklung bevorsteht. Sie wird lernen, sich zu wehren und zu behaupten, ihre Unsichtbarkeit zu überwinden und zu sich selbst zu finden, jenseits der beiden Pole ihres esssüchtigen Bruders und ihres machtgierigen Ehemannes.
Das Ende des Buches kommt überraschend. Man hat nicht mit ihm gerechnet, nach der Lektüre eines nachdenklichen Romans, der in die Tiefe geht.
Lionel Shriver, Grosser Bruder, Piper 2014, ISBN 978-3-492-05625-0
[*] Diese Rezension schrieb: Winfried Stanzick (2014-05-15)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.