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Klaus Servene - Mannheim, Germany
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Servene, Klaus:
Mannheim, Germany

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(Bücher frei Haus)

Innere Bestandsaufnahme von unten

Schon der Titel des neuen Buches von Klaus Servene ist zumindest dreideutig. Mannheim als Stadt, seit 1977 Heimatstadt des Autors, ist das eine. Das Bukowski Event „Mannheim, Germany“, bei dem der renomierte Bukowski Übersetzter Carl Weiss Texte des Meisters zu Gehör brachte, ist das zweite, das als Anspielung im Raume steht und zu guter letzt das eher unbekannte Gedicht gleichen Namens von Bukowski selbst. Ein vielschichtiger Titel für ein vielschichtiges Buch.

Denn alle Bedeutungen sind wichtig. Zum einen die Ansiedlung der 18 Kurzgeschichten (plus eines ausgearbeiteten Stückes als Abschluss des Buches) in einem konkreten, geographischen Bezugsrahmen, wie auch die freiwerdenden Assoziationen zu Charles Bukowski und seiner Hinwendung zu denen „da unten“. Denn dies vollzieht Servene im besten Sprachstile ebenso und bietet eine Vielschichtigkeit, die auch beim zweiten und dritten Lesen immer wieder Neues entdecken lässt an Eindrücken und Verbindungen zwischen den Geschichten.

In den Geschichten des Buches kommen eben jene zu Wort, die auf keinen Fall zu den Gewinnern der Zeit gehören. Die wohl zu keiner Zeit auf der Sonnenseite des Lebens gestanden hätten. Die Schattenseiten sind es, die den einzelnen Geschichten Thema, aber auch Form geben. So mag bereits die erste Kurzgeschichte die Richtung vorgeben. Unter dem Titel „Unter Asche“ begegnet die Innensicht jener Schattenseite. Wie im Zwiegespräch mit sich selbst fließen die Gedanken der Protagonistin, angesiedelt in einer Umgebung, in der selbst die Briefkästen von der Niederlage der Kommunikation ein beredetes Zeugnis ablegen. Verrostete Briefkästen, die als Bild die gesamten Lebensumstände in sich tragen, die den Missbrauch durch den Kaplan in jungen Jahren ebenso widerspiegeln, wie es der Rest der Wohnungseinrichtung und die haltlosen, ständig fließenden Gedanken in den Raum setzen.

Ein verstörender, auf den Punkt treffender Beginn bereits, der die ernüchternde Atmosphäre schaffte, innerhalb derer Servene mit Feinfühligkeit und prägnanter Bildsprache Seite für Seite die Innenseite nach außen kehrt. Nicht äußere Vorwürfe, Armutsschilderungen, Kampf um das tägliche Essen stehen im Vordergrund seiner Betrachtungen, sondern die innere Zerfaserung seiner Protagonisten. Menschen im 21. Jahrhundert, in einer konkreten Stadt, die dennoch kaum mehr wirklich erkennbar sind, auch für sich selbst nicht mehr. Die sich treffen, ohne sich wirklich zu treffen, wie jener, der sich seinen Freigang aus der „Einrichtung“ nimmt und jene trifft, die in der Bahn in einem Schuhkarton ihren toten Hamster ins Nirgendwo hin bringt. Selbst der eine, der noch meint, den ständigen „Quereinstieg“ als Grundhaltung erfolgreich leben zu können und die vielen, anonymen und namenlosen Gestalten um sich herum nur mit Abwertung, fast Ekel zu betrachten vermag, ist doch ein Gescheiterter, ein ins Leben hinein mäandernder Mensch, dessen Rahmen stetig weggespült wird.

Klaus Servene lässt kaum Luft, zum Atem holen, in solcher Dichte stellt er mittels seiner fließenden, teils lyrischen, teils direkten Sprache die Verlierer des Lebens in ihrer inneren Gedankenwelt vor die Augen des Lesers. Selbst da, wo etwas wie Licht in den Schatten dringt, der Bettler die gefundene Geldbörse nicht behält, sondern freudig zurückgibt, verlieren sich die dünnen Fäden des Kontaktes zueinander bereits wieder im nächsten Augenblick. Bleibt dann wirklich nur jene abstruse Form des Selbstmordes, der in einer anderen der Geschichten die zurückbleibenden Freunde doch noch zu beeindrucken vermag? Zumindest in den Geschichten kommt das Leben selbst kaum anders zu Tage, als wie ein „Faustschlag in den Magen“.

Und dennoch, zaghafte Ansätze von zuströmender Energie sind zu entdecken. Brüchige, gefährdete Momente, die aufzeigen, wie sehr die da unten auf sich gestellt sind, ganz aus sich einen neuen Angang zu finden haben. Ob dieser Hauch von Möglichkeit hier und da zu etwas führt? Das nicht nur das Herz sich wieder öffnet, sondern man auch wieder lernt, das zu erkennen und zuzugeben? Kämpfer zumindest es sind es, die den Geschichten ihren Charakter geben, ach wenn es Teils gegen Windmühlen geht.

Sprachlich beeindruckend hätte (nicht nur) Charles Bukowski seine Freude an diesem Buch, Nicht nur der Stil Servenes ist dabei ein zupackendes und nicht mehr loslassendes Element, auch die auf den Punkt treffende Darstellung seiner Protagonisten öffnet den Blick hinein in die Zerfaserung, Vereinsamung und Isolierung menschlicher Existenz mit all ihren Folgen, nicht ohne Lichtschimmer am Horizont zu belassen. Ein Schriftsteller, der tatsächlich seine Geschichten wie Kastanien aus dem Schmutz fischt und sie solange geduldig säubert, bis sie zu glänzen beginnen. Empfehlenswert.

[*] Diese Rezension schrieb: Michael Lehmann-PApe (2010-11-11)

Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.


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