In insgesamt sechs Prosastücken beschrieb Hubert Selby jr. das metropolitane Strandgut einer aus dem II. Weltkrieg hervor gegangenen Supermacht. Die Lebenswelt in dem Mikrokosmos Brooklyn, nur durch den East River vom glorreichen Manhattan getrennt, ist das proletarische, lumpenproletarische und soldateske Milieu einer verrohten Generation, die den großen Krieg hinter sich hat und den Korea-Krieg gerade erlebt. Was sich jenseits der Skyscraper der kometenhaft anschwellenden Finanzwelt nahe den Docks ansammelt, das sind die Wert- und Orientierungslosen, die ihren Charakter, ihren Lebenssinn, ihre Familie, ihren Glauben und zuweilen auch ihr Geschlecht verloren haben.
Verroht, ohne Perspektive, immer unter Alkohol und Benzedrin, jagt eine brutale Orgie die andere, werden junge Männer zu Drag Queens, die es sich hinter Mülltonnen besorgen lassen, pubertierende Mädchen zu Matrosenhuren, die einer Massenvergewaltigung erliegen und diejenigen, die überhaupt noch einer Arbeit nachgehen, durchleben einen zermürbenden Streik, bei dem sie letztendlich doch die Betrogenen sind. Die Glücklichen aus dieser Welt der Finsternis fristen ihr Dasein in einem sozialen Wohnprojekt, wo sie gegenseitig Zeugen ihrer eigenen Verwahrlosung werden, bevor sie doch wieder auf der Straße enden.
Last Exit To Brooklyn ist eine der schonungslosesten Anklagen gegen die Verrohung einer Nachkriegsgesellschaft, die sich zudem in einer Phase befand, in der die globalen Machtperspektiven ins Unermessliche zu wachsen schienen, das Dasein für die Vielen, die den Preis des kommenden Weltruhmes bezahlt hatten, jedoch jeglicher Perspektive entbehrte.
Am deutlichsten wird dieses in der Beschreibung des Streiks, in welchem ein mediokrer Arbeiter und Gewerkschaftsfunktionär zum Leiter des Streikbüros wird, im Grunde keinen Halt in der Belegschaft hat, weil er durch seine lausige Arbeitsmoral suspekt erscheint. Immer wieder greift er bei dem sich über Monate hinziehenden Ausstand in die Streikkasse, kauft Bier für die Wegelagerer aus der Nachbarschaft und entdeckt im Luderleben zwischen Streikbüro und Saufgelagen sein Faible für die homoerotische Unterwelt im benachbarten Manhattan. Mit Streikgeldern hält er sich Luxusstricher, und als der Streik erfolgreich beendet wird, geht ihm das Geld aus und die Stricher zeigen ihm die kalte Schulter. Enttäuscht und völlig am Ende will er sich an einem Jugendlichen aus der Nachbarschaft vergehen, dieser jedoch holt Hilfe gerade bei denjenigen, die monatelang auf Kosten des Streiks gesoffen haben. Sie schlagen ihren generösen Spender, der sich für sie als perverses Schwein entpuppt, kurzerhand tot.
Das Schreckliche an Selbys Episoden ist die Eindimensionalität. Tausende von Büchern wurden dem sozialen Elend und dem Leiden der menschlichen Kreatur gewidmet. Aber wenige beschreiben sich so schonungslos das Grauen, in einer Sprache, die dieser Dimension entspricht, einem Scharfblick, der den Ekel nicht übersehen kann und in einer Kälte, die das Blut gerinnen lässt.
[*] Diese Rezension schrieb: Gerhard Mersmann (2009-06-20)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.