Es ist der erste Roman des Dichters Lutz Seiler, der bisher Gedichte, Erzählungen und Aufsätze veröffentlichte. Man spürt es an der Sprache des ganzen Buches, an seinem Spiel mit Wörtern, dem fast überbordenden Einsatz von Metaphern, dass da ein ursprünglicher Lyriker am Werk ist. An einem voluminösen Werk, das bei der Kritik auf zum Teil enthusiastische Zustimmung stieß, mir persönlich aber beim Lesen einiges an Geduld abverlangt hat.
Die Geschichte spielt im Jahr 1989 auf der Ostseeinsel Hiddensee. Dorthin ist Edgar Bendler aus seinem Leben geflüchtet, nachdem seine Partnerin von einer Straßenbahn überfahren und getötet wurde.
Er findet Aufnahme und Arbeit in dem Gasthaus „Zum Klausner“, wo er als Abwäscher arbeitet. Diese Arbeit tut ihm gut:
„Ed schuftete und schwitzte sich den Rest seiner Gedanken und Gefühle aus dem Leib. Er arbeitete sich durch bis auf den stabilen Grund einer wirklichen Erschöpfung, und für diese Stunden fühlte er sich rein, erlöst von sich selbst und seinem Unglück.“
Dieses Gasthaus ist ein Ort, an dem sich ungewöhnliche Persönlichkeiten begegnen, Menschen, die von ihrem Drang nach Freiheit beseelt sind, Menschen, die in ihrem Leben auf die eine oder andere Weise Schiffbruch erlitten haben. Ed Bendler trifft dort auf Alexander Krusowitsch, genannt Kruso, und wird in einer ganz besonderen Männerfreundschaft so etwas wie sein Freitag. Denn der Name Kruso ist durchaus absichtlich gewählt, soll doch das Bild von Robinson auf seiner einsamen Insel im Leser geweckt werden.
Genau wie Kruso, der als Kind am Ufer der Ostsee stand und seiner über die Ostsee in Richtung der dänischen Insel Moen flüchtenden Schwester nachschaute, haben alle dort auf Hiddensee Gestrandeten eine solche alte Geschichte, die sich mit sich herumschleppen. Kruso hat mit anderen für diese Menschen, so wie Edgar einer ist, ein ganzes System von Schlafplätzen organisiert und er träumt von der Freiheit. Doch als sie im Radio von den Vorgängen in Ungarn hören, redet er in dramatischen Worten davon, der Westen müsse von denen, die die DDR verlassen, etwas über Freiheit lernen. Im Westen sei sie bestimmt nicht, diese Freiheit, die gemeint ist.
„Kruso“ ist nicht nur eine bewegende Utopie über die Freiheit, eine die nach dem Mauerfall eben nicht erlebbar wurde, sondern auch ein Roman voller Anspielungen auf Lyrik und Poesie.
Lutz Seiler, Kruso, Suhrkamp 20914, ISBN 978-3-518-42447-6
[*] Diese Rezension schrieb: Winfried Stanzick (2014-09-23)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.