Dieses neue Buch von Robert Seethaler, ein ähnlich wunderbares literarisches Kleinod wie sein Vorgänger „Der Trafikant“, zählt zu den wenigen Büchern, die mir in diesem Jahr nicht nur gut gefallen haben, sondern regelrecht ans Herz gewachsen sind. Das liegt zum einen an seiner sprachlichen Schönheit und schlichten Eleganz, und zum anderen an der Beschreibung einer menschlichen Existenz, der des Seilbahnarbeiters Andreas Egger, die mir auf eine literarische Weise etwas verdeutlichte.
Etwas, was ich seit meiner Jugend glaube, etwas, das ich sicher hunderte von Malen in den Gottesdiensten , die ich als Pfarrer feierte, gepredigt und betont habe. Dass nämlich jedes Leben geheiligt ist und seinen oft lange verborgenen Sinn enthält.
Als Andreas Egger als vierjähriger Bub verwaist in das Tal kommt, das ihm fortan seine Heimat werden sollte, nimmt ihn der Bauer Kranzstocker mehr widerwillig als gerne in seine Familie auf. Es sind harte Lebensumstände, geprägt von einem harten Mangel an Liebe und Zuneigung, unter denen Andreas Egger aufwächst und sich zu einem brauchbaren Knecht entwickelt.
Als er erwachsen ist, trifft er seine eigenen Entscheidungen und arbeitet fortan bei einem Arbeitstrupp, der unter sehr schwierigen Bedingungen die ersten Berg- und Seilbahnen baut und so nicht unerheblich an der der baldigen touristischen Erschließung einer ganzen Region beteiligt ist.
Sehr einfühlsam gelingt es Robert Seethaler die ganze Lebensgeschichte eines Mannes zu erzählen, den kaum jemand ernst nimmt, der immer letztlich ein Außenseiter bleibt und dennoch seine Wirkung auf andere nicht verfehlt:
"Er dachte langsam, sprach langsam und ging langsam, doch jeder Gedanke, jedes Wort und jeder Schritt hinterließen Spuren, und zwar genau da, wo solche Spuren seiner Meinung nach hingehörten."
Es ist ein hartes Leben, das er führt, dieser schweigsame und grundgütige Mann, das er aber annimmt ohne zu jammern. Einmal in seinem Leben lernt er die Liebe kennen mit der Wirtshausgehilfin Marie Reisenbacher, die er heiratet und mit der er in einer bescheidenen Hütte lebt, die er für sich und seine Frau gebaut hat.
Er wird sie verlieren durch eine Lawine und er nimmt es hin, trotz einer Trauer, die ihn sein Leben lang nicht mehr verlassen wird. Genauso nimmt er acht Jahre als Kriegsgefangener in russischen Lagern hin, bevor er in sein Tal zurückkehrt.
Ohne jegliches Pathos erzählt dieses wunderbare Buch von dem, was ein Mensch in der Lage ist zu ertragen. Mit einer Sprache, die schön ist und poetisch und die dennoch das Elend nicht erhöht.
Als er kurz vor einem stillen und sanften Tod im Alter von 79 Jahren auf sein Leben zurück blickt, muss er selbst staunen und er hat mich als Leser mit diesem Staunen angesteckt:
„… der Tod machte ihm keine Angst. Er konnte sich nicht erinnern, wo er hergekommen war, und letztendlich wusste er nicht, wohin er gehen würde. Doch auf die Zeit dazwischen, auf sein Leben, konnte er ohne Bedauern zurückblicken, mit einem abgerissenem Lachen und einem einzigen großen Staunen.“
Robert Seethaler, Ein ganzes Leben, Hanser Berlin 2014, ISBN 978-3-446-24645-4
[*] Diese Rezension schrieb: Winfried Stanzick (2014-08-13)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.